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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leoš Janáček)
21. Januar 2014
(Premiere)

La Monnaie, Brüssel


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Von Puppen und Menschen

Der lettische Regisseur Alvis Hermanis ist bisher vor allem im Schauspiel hervorgetreten. Auf der Opernbühne tummelte er sich nur zwei Mal und das direkt bei den Salzburger Festspielen, unter anderem mit einer eigenwilligen Inszenierung von Zimmermanns Soldaten. Eigenwillig geht Hermanis derzeit auch an der Brüsseler Oper mit Leos Janáčeks bekanntester Oper Jenufa um. Wenn sich der Vorhang öffnet, wird das Auge von einer gewaltigen, rotierenden, rosenbekränzten Rosette im farbenprächtigen Kolorit mährischer Volkskunst gefangen genommen, angereichert mit projizierten Bildern aus der Region. Darunter tanzt ein Bewegungschor in stilisierten Trachten zu den unruhigen Klängen der Orchestereinleitung. Sollte hier die Koproduktion mit dem Bolshoi Theater den Regisseur zu besonderen Zugeständnissen an den eher konservativen Geschmack russischer Opernfreunde bewogen haben? Janáčeks kühnes Musikdrama als folkloristischer Schinken? Und das im experimentierfreudigen Brüssel?

Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Hauptfiguren in ihren kunterbunten Fantasie-Trachten mit Puffärmeln und obst-verzierten Hüten auftreten, wird schnell klar, wie sehr Hermanis den folkloristischen Impulsen des Stücks misstraut. Die Protagonisten, Jenufa und die strenge Küsterin ebenso wie ihr Verehrer Laca und der geradezu burlesk umher tappendende Lebemann Steva, reihen sich an der Rampe auf, verharren in ihren Positionen und bewegen sich nur noch stereotyp wie fremd gesteuerte Marionetten. Die grell geschminkten Gesichter rücken die Figuren in die Nähe einer mährischen Commedia dell’arte. Allerdings nur in den beiden mit Tanzeinlagen und Festszenen durchsetzten Eckakten.

So konsequent Hermanis die Konzeption im ersten und dritten Akt durchzieht, so sehr bluten die Personen aus und verlieren ihre menschliche Aura. Das wirkt sich im dritten Akt besonders fatal aus, da die Reue der Küsterin zur künstlichen Pose erstarrt. Nötig wäre diese Mechanisierung ohnehin nicht, da Janáček das scheinbare Dorf-Idyll der Bauernfeste bereits durch seine Musik gründlich eintrübt. Und dass eine solche Werksicht nicht das ganze Stück tragen kann, sah Hermanis offensichtlich selbst ein. Den zweiten Akt inszeniert er in grauer realistischer Kulisse ohne jede ironische Brechung als das, was er ist: eine menschlich mitreißende Tragödie, die nur Opfer hinterlässt. Vor der zwischen mitleidiger Wärme und gnadenloser Härte changierenden Musik dieses Akts, die die Seelen- und Gewissensqualen Jenufas und der Küsterin wie ein klingender Seismograph spürbar werden lässt, kapituliert auch Hermanis und wirft seine Erfahrung und sein handwerkliches Können mit bohrender Intensität in die Darstellung eines Dramas, das unter die Haut geht. Meisterhaft, mit welcher Feinheit und Treffsicherheit Jenufas Ängste um ihr verschwundenes Kind deutlich werden, wenn die bangende Mutter unter der genauen, einfühlsamen Personenführung Hermanis mit den Kleidern ihres verschwunden Babys spielt. Mit dem zweiten Akt liefert Hermanis eine Glanzleistung. Allerdings führt der inmitten des Puppentheaters der restlichen Akte ein isoliertes Eigenleben.

Der schroffe Wechsel zwischen berückender Milde und brutaler Schärfe gehört zu den Markenzeichen der Musik Janáčeks. Ludovic Morlot am Pult des Brüsseler Orchesters gelingt es vorzüglich, diese Wechselbäder profiliert auszuspielen, ohne den Fluss der Musik stocken oder auseinanderbrechen zu lassen. Dabei führt er so sängerfreundlich durch den Abend, dass niemand forcieren muss, um sich durchzusetzen. Auch Jeanne-Michèle Charbonnet als Küsterin nicht. Ihre Wagner-erprobte Stimme weist die nötige Härte für die Partie auf, ohne die Ohren durch unangenehme Schärfen oder hysterische Exzesse zu strapazieren.

Auch Sally Matthews Sopran, an sich in den Gefilden Mozarts zu Hause, klingt diesmal nicht wie der eines zarten Sensibelchens. Sie kann ihre Stimme zu großartigen Höhepunkten führen, zeigt Stärke, bleibt aber auch der leisen Trauer der um ihr Kind betrogenen Mutter nichts an herber Schönheit schuldig. Eine Besetzung, die das spezifische Kolorit der Janáčeckschen Frauenfiguren souverän trifft, auch wenn man nicht an die unvergessene Lucia Popp als unübertroffene Janáček-Interpretin denken darf.

Die beiden Tenorpartien der gegensätzlichen Rivalen Laca und Steva sind mit Charles Workman und Nicky Spence ebenso hoch- wie gleichwertig besetzt. Dass nicht eine der Hauptfiguren mit einem slawischen Sänger besetzt ist, hört man der tschechisch gesungenen Produktion, zumindest als Westeuropäer, erfreulicherweise nicht an. Kompliment.

Das Brüsseler Premieren-Publikum reagiert mit überschwänglicher Begeisterung und überschüttet die Hauptdarsteller, den Dirigenten und das szenische Team um Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis mit ungetrübten Ovationen. Die Bruchstellen der Inszenierung nahm man gelassen hin. Für Diskussionsstoff ist allemal gesorgt.

Pedro Obiera

Fotos: Karl und Monika Forster