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Fakten zur Aufführung 

LA FINTA GIARDINIERA
(Wolfgang Amadeus Mozart)
27. März 2011
(Premiere der Wiederaufnahme: 13. März 2011)

La Monnaie/De Munt Brüssel

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Liebeswirren im Park

Der Mozart-Zyklus des Ehepaars Ursel und Karl-Ernst Herrmann gehört neben dem Wernicke-Ring zu den epochemachenden Inszenierungen der Mortier-Ära an der Belgischen Nationaloper La Monnaie. Phantasiereichtum, Präzision, Witz, ein ausgefeiltes Ineinander von Bühnenbild und Handlung erzeugen eine geradezu berückende Wirkung und eine schlichtweg atemberaubende Balance von Leichtigkeit und Tiefe, die bei Mozart so entscheidend ist. Eine seltene Gelegenheit, Erinnerungen zu aktualisieren bietet jetzt La Monnaie mit der Wiedereinstudierung von La Finta Giardiniera aus dem Jahre 1986. Nach der Brüsseler Premiere ist die Inszenierung weit gereist, nach Wien, Salzburg, Berlin, Amsterdam und New York. Am Nationaltheater in Prag, wo sie zuletzt zu sehen war, erhielt die Inszenierung eine Neujustierung und in dieser revidierten Fassung ist sie jetzt nach Brüssel zurückgekehrt. Die Änderungen beziehen sich in erster Linie auf das optische Layout. Die Kleidung hat statt dem Rokoko-Stil des 18. Jahrhunderts jetzt einen mehr gegenwärtigen, aber nicht modischen Charakter bekommen („Im Grunde ist es völlig egal, ob die Menschen Kniebundhosen anhaben, oder lange Hosen. Der Mensch muss leben auf der Bühne.“ - Ursel Hermann) und die Szene tendiert heute mehr ins Abstrakte. Zentrum ist aber weiterhin das stilisierte Wäldchen, das aber etwas ausgelichtet wurde. Charakteristisch für die Arbeitshaltung und den Willen zu Präzision und Perfektion der Herrmanns ist, dass sie alle Reprisen selbst betreuen und an die jeweiligen Gegebenheiten, an Sänger und Bühne, neu anpassen.

Personelle Konstante dieser La Finta Giardiniera über die vielen Jahre ist die fabelhafte Schauspielerin Mireille Mossé, die auf der Bühne alle Fäden der so unwahrscheinlichen Handlung steuert, jeder Figur Rolle und Verhalten zuteilt und sie - in ironischer Brechung - auch nicht ausbrechen lässt, wenn sie es einmal versuchen. Diese Figur ist eine Zuerfindung der Herrmanns, der Besetzungszettel führt sie allein mit ihrem persönlichen Namen Mireille Mossé an. Immer anwesend, aber unsichtbar für die Figuren, ist sie Komponist, Dirigent, Amor oder Cupido; führt Personen zueinander, lässt sie auch mal wie Belfiore stolpern, sodass er die Arie, in der er Arminda ein Hochzeitsständchen singt, nach dem peinlichen Sturz noch einmal von vorn beginnen muss. Mal gibt sie Kommentare ans Publikum, mal gestikuliert sie stumm, dann liegt sie gemütlich im Sonnenstuhl im Park des Podestà di Lagonero. Jedenfalls scheint das so bunt absurd tragisch komische Geschehen allein ihren Launen entsprungen zu sein.

Die Herrmanns haben das dramma giocoso auf einer Landzunge angesiedelt. Das stilisierte, symmetrisch angepflanzte, schlanke Birkenwäldchen liegt an einem rechts und hinten angedeuteten dunklen Gewässer, dem Lago Nero. Wirkungsvoll und elegant lässt ein leicht dahingleitendes weißes Boot einige der Protagonisten anlanden und ermöglicht ihnen einen bedeutsamen Auftritt. Im Vordergrund ein länglicher Brunnen; wenige Accessoires, ein Ledersessel, ein 50er Jahre-Kühlschrank, eine lange Gartenbank, einige zum Trocknen aufgehängte weiße Laken ergänzen das Bühnenbild. Um den Orchestergraben setzt sich mit einem Rundsteg der Aktionsraum fort, bringt die Akteure nah an das Publikum heran. Die stimmungsvolle Ausleuchtung sorgt für eine heitere, klare Sommerstimmung, die auch mal von einem heftigen Sturm gestört wird, der alle Bäume akkurat in die Schräglage bringt. Insgesamt herrscht eine poetische Szenerie, die an Gesellschaftsdramen von Tschechow erinnert, in denen sich unter der Heiterkeit des Landlebens diverse Brüche und Abgründe auftun, eine Assoziation, die sicher nicht zufällig aufscheint, sind doch in dieser La Finta Giardiniera die Figuren so angelegt, dass sie keine reinen buffa- (tradierterweise das Dienstpersonal) oder seria-Charaktere ausbilden. Das Tragische infiltriert das Komische und vice versa.

Die aktuelle Besetzung ist bis in die kleineren Partien wiederum ganz ausnahmslos herausragend, das betrifft die vokale Seite wie auch die Rollengestaltung und ihre perfekte Einbettung ins Regiekonzept: jede Bewegung, jeder Akzent, jedes Detail erweist sich als abgestimmt. Adam Plachetka ist ein trotz der Nebenrolle sehr bühnenpräsenter Roberto/Nardo, der sich von seiner Zuneigung zu Serpetta um nichts in der Welt abbringen lässt. Katerina Knežíková ist eine dynamische und betont selbstbewusste Serpetta, Stella Doufexis ein jungenhafter, etwas unterkühlter Ramiro und Henriette Bonde-Hansen eine Arminda mit divenhafte Ausprägung. Jeffrey Francis (Podestà di Lagonero) gibt einen souveränen, arroganten Don Anchise, der sich problemlos über den Verlust von Sandrina und Serpetta hinweghilft und am Ende so gar nicht geläutert ist. Jeremy Ovenden (Contino Belfiore) besteht alle Gefühlsirritationen mit seinem warmen, wohlklingenden Tenor, zeigt in der Rolle eine betont starke Neigung zum Tragisch-Komischen. Sandrine Piau als Sandrina/Violante gelingt ein wunderbar berückendes Rollenporträt. Mit schlankem, farbenreich timbriertem Sopran durchlebt sie alle Zustände melancholie-gesättigter Empfindsamkeit, Verunsicherungen und Umnachtungen.

Die Herrmanns lassen das Werk nicht so ganz eindeutig enden, es schließt etwas abrupt und in großer Irritation. Ein glückliches Ende gibt es für die fingierte Gärtnerin Sandrina/Violante und ihren Belfiore, der Podestà hat sich per Boot schon einen verführerischen Ersatz für Sandrina und Serpetta organisiert. Wie und ob Serpetta und Roberto/Nardo sowie Ramiro und Arminda in eine gemeinsame und glückliche Zukunft gehen, bleibt offen.

Dirigent John Nelson leitet das Werk in diesem Aufführungszyklus zum ersten Mal. Er wählt zügige, nicht überhetzte Tempi für ein lebhaftes und beredtes Dirigat mit kammermusikalischem Gestus und hält das Orchester über die drei Akte hinweg unter Spannung. Das Orchester der La Monnaie Oper wiederum folgt ihm mit großer Begeisterung. Ein Genuss!

Am Ende: Maximaler Begeisterungspegel für eine Inszenierung, die auch nach 25 Jahren ihre Faszinationskraft nicht verloren hat.

Dirk Ufermann

 







Fotos: © Bernd Uhlig