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Fakten zur Aufführung 

MADAME CURIE
(Elzbieta Sikora)
1. Mai 2012
(Premiere)

Opera Nova Bydgoszcz


Points of Honor                      

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Publikum

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Ergreifend biografisch

Wer war Madame Curie? Marie Sklodowska Curie war eine polnische Physikerin, die sich der Erforschung der Radioaktivität widmete, dafür zwei Nobelpreise bekam, und schließlich an den Folgen ihrer Forschung verstarb. Wer sich in ein Stück dieses Namens begibt, wird sich womöglich die Mühe machen, sich darüber – zumindest flüchtig – zu informieren. Für alle anderen gibt es eine halbe Stunde vor der Aufführung eine Werkeinführung. So zumindest ist es nicht nur in Deutschland üblich. Und das hat auch sein Gutes. Man braucht das Publikum im Saal nämlich nicht zu langweilen. Der Ansager, der sich in der Opera Nova auf die Bühne stellt, hat auch gar nicht das Gefühl, er könnte das Publikum ermüden. Eine unsägliche Viertelstunde lang redet er ununterbrochen.  Na ja, so ganz ohne Unterbrechung dann doch nicht. Als ihm ein Name nicht einfällt, wird der ihm aus dem Publikum zugerufen. Man hilft ja gern. Und damit ist alle Unbill dieses Abends erledigt. Was dann folgt, ist nämlich höchst eindrucksvolle zeitgenössische Oper.

Auf der Eröffnungsbühne auf dem abgedeckten Graben stehen rechts und links Podien, auf denen, man errät es schon, später der Chor Platz nehmen wird. In der Mitte ein großer, stabiler Tisch, ein paar Requisiten stehen herum. Dahinter eine Wellblechwand, die sich nach einigen Minuten hinweghebt und den Blick auf das Baltische Orchester freigibt. Das präsentiert ein herausragendes Werk der polnischen Komponistin Elzbieta Sikora. Viel Atonales ist da zu hören, das in Feinheiten die Stimmungen der jeweiligen Situationen heraufbeschwört, unterstreicht und zum Abschluss bringt. Immer wieder eingebunden durch kurze Anflüge melodischer Streicher. Ob die Musik für sich steht, mag man an diesem Abend nicht entscheiden. Allzu sehr steht sie in Einklang mit der Handlung. Einzelne Lebensstationen der Marie Curie werden sowohl aus hoch emotionaler als auch aus öffentlicher Sicht dargestellt. Die Öffentlichkeit wird vom Chor auf den Podien interpretiert, mal als Beobachter, mal aber auch als Ankläger, Verteidiger und Jurys. So kommentiert, präsentiert sich die Protagonistin mit den verschiedenen Männern, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Die emotionale Seite spielt ein erst tanzender, hinterher verreckender Engel in weißem Gewand, zunächst luftig leicht, später auf ein schmales Schachtelkleid reduziert.  Das Stück, leider ohne Übertitel präsentiert, fesselt mit seiner Intensität nicht nur der Musik, sondern auch des Gesangs. Die Gefahr, dass aus atonalem Gesang monotonaler Singsang entsteht, existiert hier keine Sekunde. Und das Wechselspiel von Chor, der sich mal mit lauten, erbosten Zwischenrufen, dann wieder mit Applaus oder fröhlichen Gesängen einmischt, und Marie Curie und ihren Liebsten hält die Spannung, bis die Curie endlich erschöpft auf einem Stuhl zusammensinkt.

Regisseur Marek Weiss reduziert auf der Bühne von Hanna Szymczak das Leben der Curie gekonnt auf ein Kammerspiel, in dem sich die Lebenswege der Curie und ihrer Männer auf Begegnungen beschränken und damit die Intensität erhöhen. Begleitet wird das Geschehen von Albert Einstein, dem Leszek Skrla das Spitzbübische nimmt und ihn als sehr ernsten, eher kommentierenden alten Mann präsentiert. Anna Mikolajczyk spürt dem Menschen Marie Curie höchst sensibel nach. Die Wissenschaftlerin, die rationale, sich ständig emanzipierende, aber auch lebenslustige Frau, die den Tod ihres Mannes verwinden muss. Den spielt Pawel Skaluba als das, was er wohl war: ein eher nichtssagender Wissenschaftler. Wie viel leidenschaftlicher war da die Affäre mit Paul Langevin, den Tomasz Rak souverän darbietet. Grandios die Erscheinung des Engels, den Iuliia Lavrenova in der Choreographie von Izadora Weiss tanzt.

Wojciech Michniewski dirigiert gelassen, aber mit höchster Konzentration das Orchester der Baltischen Oper, das mit bemerkenswerter Lust den Vorgaben der Sikora folgt. Der Chor in der Einstudierung von Robert Nakoneczny unterstreicht die Höhen und Tiefen im Leben der Madame Curie aus öffentlicher Sicht glaubhaft, energisch und mit eigenem Verve.

Nach fast zwei Stunden haben die Akteure alles gegeben – das Publikum auch. Solche Intensität strengt an. Aber sie funktioniert vor allem deshalb, weil es eine in sich schlüssige Aufführung ist. Noch auf dem rasch angetretenen Heimweg an diesem Feiertag wird eifrig, aber begeistert diskutiert. Hier ist der Opera Nova mit Sicherheit das gelungen, was geplant war: Ein Höhepunkt ihres diesjährigen Festivals.

Michael S. Zerban





Fotos: Sebastian Cwikla