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Fakten zur Aufführung 

THE TURN OF THE SCREW
(Benjamin Britten)
28. Oktober 2011
(Premiere)

Theater Bremen


Points of Honor                      

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Seelenkammern

Der Titel von Brittens 1954 in Venedig uraufgeführter Oper bedeutet wörtlich übersetzt Die Drehung der Schraube. Genauso wenig wie dieser Titel gibt die Handlung selbst eindeutige Antworten auf die Frage, worum es in diesem Stück wohl geht. Äußere Handlung gibt es kaum. Die Gouvernante – die im Stück auch nur Governess heißt und keinen Namen hat – erhält im Prolog den Auftrag, die beiden Kinder Flora und Miles auf dem Landsitz Bly zu betreuen und ihnen eine angemessene Erziehung zukommen zu lassen. Die elternlosen Kinder leben dort zusammen mit der Haushälterin Ms Grose. Das Verhältnis der Kinder zu ihrer neuen Gouvernante ist ambivalent. Die Haushälterin entdeckt Erscheinungen im Garten. Sie sieht darin die Geister der ehemaligen Bediensteten Peter Quint und Miss Jessel, die die Kinder scheinbar unter ihren Einfluss bringen wollen. Die Kinder verändern sich, scheinen immer mehr unter einer fremden Macht zu stehen. Die Gouvernante schreibt an den Vormund, Miles hält den Brief zurück, weil Quint ihn dazu bringt. Am Ende will die Gouvernante Miles zur Rede stellen. Der Junge stirbt schließlich. Aber was genau ist überhaupt passiert? Die Deutungen der Geschichte gehen in Richtung Kindesmissbrauch, die Verhältnisse der Protagonisten untereinander sind von vielerlei psychologischen Deutungsmustern und -versuchen geprägt. Die Frage nach dem was scheint letztlich zweitrangig. Entscheidend ist, wie das Stück die psychischen Zuspitzungen aller Beteiligten mit beklemmender Intensität zeigt. Die Bedeutung liegt im Auge des Betrachters.   

Regisseur Frank Hilbig hat zusammen mit dem Bühnenbildner Volker Thiele und der Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht  für dieses zwischen Psychogramm und Spuk seltsam pendelnde Geschehen einen ebenso einfachen wie bezwingenden Raum gefunden. Ein einziger, kleiner Raum reicht aus, um die Geschichte darin zu erzählen, grüne Wände, ein helles Sofa darin. Dieser Raum wird allerdings vervierfacht. Wie der Querschnitt eines Puppenhauses sieht die Bühne aus, die vier Räume sind genau ebenmäßig. In Ihnen bewegen sich nicht nur die Protagonisten. Alle Figuren haben Doppelgänger – Statisten – und während die an der Szene beteiligten in einem Raum sind, spielen sich in einer anderen Kammer, manchmal in allen gleichzeitig, ebenso Szenen ab. Die Szenen, die in den Köpfen der Protagonisten parallel ablaufen, in ihrem Unterbewusstsein, in ihrer Phantasie, in einem anderen Teil ihrer Persönlichkeit. Es ist zwar mitunter nicht leicht, immer allem, was in den Räumen passiert, zu folgen. Jedoch fügt Regisseur Hilbig mit diesen vielen Parallelhandlungen der Unklarheit, der Unentschlossenheit des Librettos, was dem Zuschauer nun genau über die Figuren gesagt werden soll, eine genau das aufgreifende szenische Entsprechung bei. Die kahlen Räume, die Spießbürgerlichkeit, die in den Kostümen angedeutet wird, dabei die Mode der 60-er und 70-er Jahre zitiert, schaffen zudem eine angemessen unpersönliche und seelenlose Atmosphäre. Hilbig nimmt den Text genau beim Wort, die Parallelhandlungen sind zumeist Interpretation. Genau diese Lesarten fordert das Stück gleichsam heraus. Das Regieteam setzt sie zu einem dichten, spannungsgeladenen szenischen Gewebe um.

Diese packende szenische Umsetzung findet kongeniale Unterstützung durch eine in jeder Hinsicht beeindruckende musikalische Wiedergabe. Daniel Montané und die Bremer Philharmoniker entlocken Brittens Partitur, die mit einem klein besetzten, fast kammermusikalischen Orchester auskommt, gleichermaßen die spielerische Leichtigkeit einzelner Passagen wie auch die schaurigen, düsteren und gespenstischen Abgründe anderer Momente. Der Komponist zeigt sich mit diesem Werk auf dem Höhepunkt seines Vermögens, die Psychologie einzelner Figuren, die psychischen Vorgänge zwischen mehreren Protagonisten unmittelbar erfahrbar zu machen. Dieser herausragenden Qualität der Partitur spüren Montané und seine Musiker mit hoher Sensibilität nach.

Das gesamte Ensemble beeindruckt durch großartige schauspielerische Leistungen, die psychischen Abgründe werden bis ins kleinste Detail erfahrbar. Sara Hershkowitz gibt der Governess mit lyrisch leuchtendem, klar fokussiertem Sopran stimmliche Statur. Mit dramatisch aufgeladenem Mezzo verleiht Tamara Klivadenko der Haushälterin Ms Grose starke Konturen. Randall Bills mit hellem, leicht metallisch gefärbtem Tenor und Marysol Schalit mit ebenfalls klarem und funkelndem Sopran sind als Peter Quint und Miss Jessel die eindringlich unheimlichen Geisterstimmen. Christian-Andreas Engelhardt führt mit charaktervollem Tenor als Prologue in die Handlung ein. Schließlich gilt Tiziana Ratcheva als Flora und Fritjof Klingenberg großer Respekt für ihre in allen Belangen nachdrückliche Gestaltung der Kinder Flora und Miles. Zwei Kinder zu Hauptfiguren eines abendfüllenden Musiktheaters zu machen, ist eine der Kühnheiten, mit denen Britten dieses spannungsgeladene Stück anreichert, die in dieser Produktion vollkommen überzeugend gelöst ist.

Nach der Vorstellung war einigen Stimmen aus dem Publikum anzuhören, dass das Stück durchaus Irritationen hinterlassen hat. Das soll es sicher auch. Zuvor gab es jedoch großen, begeisterten Beifall für alle Beteiligten, die meisten Bravorufe galten gar dem Regieteam. Insgesamt ist dem Bremer Haus damit ein absolut fesselnder Musiktheaterabend gelungen, dem der Zuspruch des Publikums auch in den folgenden Vorstellungen nur zu wünschen ist.

Christian Schütte






 
Fotos: Jörg Landsberg