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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
4. Dezember 2011
(Premiere am 18. September 2011)

Theater Bremen

Points of Honor                      

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Der Räuber ist los

Die Ouvertüre beginnt, der Vorhang geht auf, und der Blick fällt in die Schalterhalle einer Bankfiliale. Ganz alltägliches Treiben, bis drei bunt kostümierte Gestalten auftreten und durch das Zücken von Revolvern klar machen, dass es sich hierbei um einen Banküberfall handelt. Die drei sind Venus als rosafarbenes Insekt, Tannhäuser als Clown und eine dritte männliche Figur im Piratenkostüm, die auf dem Besetzungszettel als Kommunarde ausgewiesen wird und, wie später zu sehen ist, mit bei Tannhäuser und Venus wohnt. Beim Banküberfall wird die Putzfrau, die am Anfang noch sauber macht, von Tannhäuser erschossen. Ein Hochsicherheitskommando versucht, die Täter zu stellen, die aber mit üppiger Beute fliehen können und zu Beginn des ersten Aktes in Venus‘ wenig gemütlicher Verbrecherbehausung ankommen.

Mit diesem etwas überfrachteten Szenario eröffnet Regisseur Tobias Kratzer seine Sichtweise auf den Tannhäuser. Tannhäuser wird von Venus, von der er abhängig ist, zu dem Verbrechen angestiftet. Der Kommunarde, gespielt vom Statisten Günther Grollitsch, ist nicht nur dritter im Bunde, er ist auch der offensichtlich jugendliche Liebhaber der Venus, eine Rolle, die Tannhäuser hier  nicht mehr erfüllen kann. Er hat mit dem Verbrechen die Schuld auf sich geladen, die ihn aus der Welt der Venus zurück in sein vorheriges Umfeld treibt. Auf dem Höhepunkt seines Abschieds ertappen die mit Maschinengewehren bewaffneten Sicherheitsleute die Täter, Venus und Tannhäuser können fliehen. Vor dem Bühneneingang eines Theaters kommt Heinrich Tannhäuser an, trägt immer noch seine schäbige Verbrecherkluft, die er den ganzen Abend über nicht ablegt. Da trifft er auf den Landgraf, seinen Freund Wolfram von Eschenbach und die Sängerkollegen Walther, Biterolf, Heinrich und Reinmar, alle im dunklen Zwirn. Freudig gestimmt über Tannhäusers Rückkehr begeben sich die Herren durch den Bühneneingang.

Der zweite Akt spielt in einer Art Kantine, wo Elisabeth im blauen Abendkleid, als braves Mädchen der gehobenen Gesellschaft, erscheint und nach langer Abwesenheit wieder auf den geliebten Tannhäuser trifft. Der Sängerwettstreit um ihre Gunst ist eine Form fernsehüblicher Castingshows, gesponsert von der Bank, die zu Beginn überfallen wurde. Mit Videoeinspielungen und reichlich plakatierten Firmenlogos ist die Bedeutung dieses Sponsors überdeutlich sichtbar. In Gestalt Tannhäusers treffen nun die Welt der Finanzen und die des Verbrechens aufeinander. Der Sängerwettstreit erreicht seinen Höhepunkt und Tannhäuser enthüllt seine Taten, holt noch einmal die Clownperücke und den Revolver hervor und zeigt damit allen, wie er Schuld auf sich geladen hat. Der Liebe Elisabeths hat er es zu verdanken, dass er verbannt statt gestraft wird.

An einem Bahnhof schließlich lässt Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier den dritten Akt spielen. Elisabeth wartet auf Tannhäusers Rückkehr, Wolfram gibt seiner unglücklichen Liebe zu ihr ein letztes Mal ergreifend Ausdruck, bevor sie sich verabschiedet. Wolfram bekommt zu diesem Abschied von ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Damit ist auch Elisabeth schuldig geworden, denn sie hat die Liebe zu Tannhäuser verraten. Der kommt zurück, es gelingt ihm nicht, sein Schuldbewusstsein zu überwinden. Venus versucht, ihn am Ende noch einmal zum Seitenwechsel zu bewegen und wieder zu ihr zu kommen. Doch es ist zu spät. Die Verbrecher werden von den Hochsicherheitskräften endlich gefasst, Elisabeth bringt sich selbst um, Venus wird erschossen. Tannhäuser erkennt die Folgen seines Handelns Der gewaltige Schlusschor bleibt da in seiner Aussage offen. Verheißt das Ende Aufbruch oder hat sich nur ein Kreis geschlossen?

Tobias Kratzers Sichtweise auf den Tannhäuser ist zweifelsohne eigenwillig, nicht bis ins kleinste Detail überzeugend und absolut diskussionswürdig. Sie ist aber von Anfang bis Ende mit starker Konsequenz durchgearbeitet, bleibt sich selbst treu und spannt somit einen großen Bogen über den Abend. Kratzer beherrscht die Kunst, ein Regiekonzept ans Publikum heranzutragen. Ob er dabei seine Zuschauer in ihren Erwartungen befriedigt oder ob seine Transformation der Geschichte angemessen ist oder nicht, das bleibt Gegenstand der individuellen Diskussion. Als theatrales Ereignis funktioniert dieser Tannhäuser.

Markus Poschner animiert die Bremer Philharmoniker zu ebenso prachtvollem wie differenziertem Spiel, er ist seinen Sängern stets ein sensibler Begleiter und atmet wunderbar mit ihnen. Davon profitiert vor allem die mit bezaubernden Piano-Tönen große emotionale Intensität ausstrahlende Patricia Andress als Elisabeth. Ihr Gebet im dritten Akt gerät zu einem der anrührendsten Momente der Aufführung, leider vom Publikum völlig zerhustet. Ebenfalls stark in der emotionalen Kraft seiner Darstellung und mit weich strömendem Bariton bestechend ist Martin Kronthaler der aufrichtig liebende Wolfram. Heiko Börner bewegt sich mit der Titelpartie gewiss in Grenzregionen seiner Stimme, kann gleichwohl durch intensive und mit beeindruckend fokussiertem Ton gesungenen Passagen immer wieder große Momente gestalten, überzeugt vor allem auch als Darsteller eines vom ersten Moment an gebrochenen Mannes. Julia Rutiglianos Mezzo gibt der Venus nicht nur stattliche vokale Statur, sie kann mit der in allen Lagen packenden Präsenz ihrer Stimme der Figur einiges von der Erotik zurückgeben, die ihr die Regie versagt. Michael Dries gibt dem Landgraf mit sonorem Bass Würde und Format, unter Tannhäusers Sängerkollegen stechen Randall Bills als Walther und Loren Lang als Biterolf mit charaktervollen Rollenporträts hervor. Christoph Heinrich als Reinmar und Keija Xiong als Heinrich sowie Alexandra Schermann als Hirt komplettieren das Ensemble. Daniel Mayr hat Chor und Extrachor des Hauses zu einem klangstarken Kollektiv vereint, dass den unterschiedlichen Rollen, die der Chor hier spielt, stets starke Bedeutung und vokale Intensität gibt.

Einige Wochen nach der Premiere ist das Haus gut besucht und das Publikum, abgesehen von wenigen Plätzen, die im Lauf des Abends leer werden, von einer szenisch zur intensiven Diskussion anregenden und musikalisch stark emotionalisierenden Aufführung überwiegend begeistert.

Christian Schütte

 






 
Fotos: Jörg Landsberg