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Fakten zur Aufführung 

ORLANDO FURIOSO
(Antonio Vivaldi)
12. Oktober 2013
(Premiere)

Theater Bremen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Ganz schön verrückt

Orlando Furioso gilt als gelungenste Oper in Antonio Vivaldis Schaffen und als Höhepunkt des italienischen Musiktheaters in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Komponist hat sich nicht auf die zeittypische Affektenlehre beschränkt, sondern lässt seinen vom Wahnsinn befallenen Orlando in Rezitativen statt in Affekt-Arien zu Wort kommen.

Der Weg zu diesem Meisterwerk war recht steinig. Vivaldi lernte den Stoff, der aus Aristos Epos stammt, 1713 kennen. Unter dem Titel Rasender Roland war bereits eine Oper mit großem Erfolg an dem Theater aufgeführt worden, an dem Vivaldi ein Jahr später seine Tätigkeit als Theaterleiter beginnen sollte. Komponist war Giovanni Alberto Ristori, der junge Jurist Grazio Braccioli verfasste das Textbuch. Für das folgende Jahr sollte er eine Fortsetzung schreiben, dessen Komponist Vivaldi war. Das 1714 aufgeführte Werk geriet zum Misserfolg, selbst einige Änderungen halfen nicht. Schließlich bearbeitete er einfach Ristoris Orlando Furioso aus dem Vorjahr, veränderte fast alle Arien in Bracciolis Libretto und nannte seine Oper nur noch Orlando.

Deren Handlung ist reichlich verworren: Orlando, ein Paladin aus dem Heer Karls des Großen, verliebt sich unsterblich in Angelica. Diese allerdings liebt Medoro. Sie flieht auf Alcinas Zauberinsel und versucht, Orlando loszuwerden. Das gelingt zunächst auch durch eine Finte. Als Orlando allerdings wiederkommt, muss er sehen, dass Angelica und Medoro geheiratet haben und verfällt dem Wahnsinn. Wie von Sinnen zerstört er mit einer Statue Alcinas Zauberkraft. Zudem befinden sich auf der Zauberinsel der Kreuzritter Ruggiero und seine Frau Bradamante. Alcina verführt Ruggiero, aber Bradamante kann ihn befreien, und Astolfo, der Alcina liebt, hat das Nachsehen. Das wütende Ehepaar zerstört die Macht Alcinas und Orlando erkennt, dass er seinen Liebeswahn nur besiegen kann, wenn er auf Angelica verzichtet.

Anna-Sophie Mahler versetzt das Geschehen in ein „Hotel Niemandsland“. Nicht die Liebe, sondern die Einsamkeit und Leere der Beteiligten steht im Vordergrund. Duri Bischoff hat dazu einen kalten Hotelflur aus der Neuzeit kreiert, von dem recht verschachtelt mehrere Türen abgehen, außerdem befindet sich eine Sitzgruppe im vorderen Teil. Das Verwirrspiel kann also beginnen. Die sieben Protagonisten finden keine Sicherheit hinter den austauschbaren Türen, im Verlauf der Handlung werden mehrere Türen aus ihren Angeln gehoben und dahinter befindet sich nur Leere. Eine Flucht ist auch nicht möglich, die Darsteller scheinen ständig im Kreis zu laufen, verschwinden in ein Zimmer und kommen aus dem nächsten wieder heraus. Orlandos Wahnsinn ist der Motor des Geschehens, dem Mahler ein kluges Ende setzt: Nach seinem Verwüsten hinterlässt Orlando eine wahrscheinlich tote Angelica, begibt sich dann in den Orchestergraben und zerschlägt dort eine Geige. Daraufhin flieht ein Großteil des Orchesters, nach und nach auch der Cembalist und der Dirigent. Orlando begleitet sich selbst am Cembalo, legt sich dann nieder und die letzten Worte des Librettos werden als Obertitel eingeblendet. Das eigentliche Ende verspricht Erlösung, passt aber nicht zum verwüsteten Bühnenbild. Hat sich die Geschichte nur in Orlandos Kopf abgespielt, mag sich der Zuschauer fragen, als Angelica von der Bühne geht. Mahler lässt ihn mit der Antwort auf sich selbst gestellt.

Geraldine Arnold hat die Protagonisten mit Hemden, Hosen, Kleidern und Jacketts in Alltagskleidung gesteckt. Im Wahn lässt sie Orlando sich bis aufs Hemd ausziehen und auch die Perücke weicht dem eigentlichen Haar. Wunderbar ist Bradamante mit Reitgerte und Reithose, sie hat die Hosen in der Beziehung an.

Martin Kronthaler in der Titelpartie meistert seine schwierige Partie mit Bravour. Sein warmes Timbre unterstreicht die emotionale Kraft seiner Darstellung. Seine Augen sind wohl das bestechendste, blicken sie im Verlauf der Handlung doch immer irrer. Alexandra Scherrmann als Angelica überzeugt mit wunderbaren Koloraturen und darstellerischer Spitzenleistung als kecke, aber auch zutiefst verletzte und gedemütigte Frau. In der Rolle der Alcina glänzt Nadja Stefanoff. Glaubhaft gibt sie die mächtige Herrscherin, aber auch die fast sehnsüchtig nach Liebe heischende, sensible Frau. Ihren gut fokussierten Mezzo führt sie dabei sicher. Marysol Schalit als Bradamante begeistert mit ihrer Darstellung als Ehefrau, die die Hosen anhat. Mit Reitgerte peitscht sie auch mal die Pflanze in der Ecke aus, wenn ihr etwas nicht passt. Dabei agiert sie charmant, ist agil und bringt richtig Schwung in das Stück. Mit ihrem klaren und kräftigen Sopran unterstreicht sie die Natürlichkeit ihrer Gefühle. Aufgrund einer noch nicht ganz auskurierten Viruserkrankung kann der lyrische Tenor Hyojong Kim den Ruggiero nur spielen. Gesungen wird die Partie von Luis Olivares Sandoval. Durch wunderbares Lippenspiel vergisst man ab und zu sogar, dass der Gesang von der Seite kommt. Sandoval verleiht dem Ruggerio weiche Töne und verfügt über ein modulationsreiches Timbre. Christoph Heinrich mit seinem sonoren Bass-Bariton gibt dem Medoro etwas Verletzliches. Patrick Zielke als Astolfo verkörpert den unglücklich Verliebten durch seinen vollen Bass glaubhaft. Wunderbar wandelhaft ist der äußerlich gestandene Mann mit dem Herzen eines verliebten Jungen.

Erstmals führt Olof Bomann die Bremer Philharmoniker mit sicherer Hand durch die Partitur. Er setzt die großen Emotionen, die Leidenschaft, Wut, Trauer und den Zorn fantastisch um und lässt den Zuhörer das Gefühl haben, im Orchestergraben sitze wirklich ein Barockorchester.

Anfängliche Buhrufe werden schnell von großer Zustimmung zu Anna-Sophie Mahlers sensibler und überzeugender Interpretation übertönt. Nicht nur die Titelpartien bekommen großen Applaus, auch die Musiker, die aus dem Orchestergraben auf die Bühne geflohen sind, werden gefeiert. Wunderbar, dass die Musiker so für ihren tollen Einsatz angemessen belohnt werden.

Agnes Beckmann

Fotos: Jörg Landsberg