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Fakten zur Aufführung 

KRYOS
(Jörn Arnecke)
14. Mai 2011 (Uraufführung)

Theater Bremen


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Auf einer Insel von morgen

Kryos ist eine Insel, die es im 21. Jahrhundert noch nicht gibt. Sie ist durch die globale Klimakatastrophe, durch den Anstieg der Meeresspiegel infolge der schmelzenden Pole entstanden. Auf dieser Insel gibt es, im 23. Jahrhundert angekommen, keine Gerüche, keine Geschmäcker, nur noch eine einzige sinnliche Wahrnehmung: einen Kristall, in dem sich das weiße Licht bricht und in seine einzelnen Farben, die Spektralfarben, zerstreut wird. Die Bewohner der Insel Kryos sind von diesem Phänomen so fasziniert, dass sie nicht mehr sprechen, sondern nur noch singen. Das gebrochene Licht wird besungen, jeder Bewohner singt mit einem individuellen Ton eine der Farben an, die durch die Brechung entstehen. In diese künstliche, überästhetisierte Gesellschaft dringt ein Fremder ein, Er kommt aus einer anderen Zeit, aus der Vergangenheit, und trifft auf etwas, das ihm völlig fremd ist.

Das ist das Grundgerüst der Geschichte, aus der Jörn Arnecke und seine Librettistin Hannah Dübgen ihr neues Musiktheater für die Oper Bremen entwickelt haben. Es ist eine Geschichte über Menschen, die sich ihren eigenen Lebensraum zerstört haben und jetzt in einer Welt leben, die sie nicht mehr mit Leben, sondern nur noch mit stereotypem Gemeinschaftssinn erfüllt, der in seiner Substanz nahezu leer ist. Die Geschichte entwickelt ihre Stärken im Aufzeigen des unmöglichen Miteinanders der Welt des Fremden und der hermetischen Sphäre der Bewohner Kryos‘. Die Annäherung zwischen einer der Bewohnerinnen und dem Fremden, die Flucht als einzige Existenzmöglichkeit dieser Liebe fällt dagegen etwas in allzu oft erprobte Konventionen ab. Das Ende des Stücks beschreibt die Gefahr für Kryos, wenn – duurch eben diese Flucht – einer aus der Gesellschaft ausbricht. Die klangliche Sphäre der Bewohner steigert sich in fast unerträgliche Geräusche. Dieser Moment bleibt im Gedächtnis.

Die Geschichte spielt in einer weiten Zukunft. In dem Gesellschaftbild, was sie entwickelt, hat sie aber auch mit uns heute zu tun. Arneckes Musiksprache bewegt sich zwischen sphärischen, fein ausgearbeiteten Klangflächen und massiven Geräuschkulissen. Sie ist ist stark chromatisch gefärbt, hüllt die im Libretto vorgegebene Kälte jedoch in ebenso kühle Klänge. Der von der Masse zelebrierte Ritus des Spektralklangs ist, auch als musiktheatrales Gebilde, einer der Höhepunkte der Partitur.

Regisseur Philipp Himmelmann setzt auf klare, strukturierte Bilder. Raimund Bauer hat ihm dafür eine schlichte, aber atmosphärisch dichte Bühne gebaut: Wände aus vielen gläsernen Elementen, die in überwiegend kaltes Licht – von Christian Kemmetmüller gestaltet – gehüllt werden, ergeben eine kühle, künstliche und unpersönliche Atmosphäre. Dazu passen die Kostüme von Katherina Kopp. Alle bis auf den Fremden, im schwarzen Anzug, tragen graue, eng am Körper anliegende Anzüge, Gesicht und Haare sind von fahler grauer Farbe gezeichnet. Alle liegen zu Beginn zusammengekauert auf dem Boden, vollziehen synchronisierte Bewegungen, keiner ist hier individuell. Die Solisten erheben sich immer dann, wenn sie etwas zu tun haben, aus dieser Masse. Alle haben fast permanent ein gezwungenes Lächeln auf dem Gesicht. Zu tiefen, persönlichen und vor allem echten Empfindungen ist hier keiner mehr in der Lage. So schafft Himmelmann Räume und Bilder, die zwar manches im Libretto bezeichnete und sicher nicht unwichtige Detail außen vor lassen, dabei aber doch für Arneckes Partitur einen kongenialen Raum schaffen.

Die musikalische Umsetzung des Werks lässt die vom Haus im Vorfeld noch einmal expliziert betonte Erfahrung mit Uraufführungen am Bremer Haus durchaus erkennen. Markus Poschner hat die gut disponierten Bremer Philharmoniker souverän im Griff und auf die Klippen der Partitur sicher vorbereitet. Ebenfalls ist er dem Ensemble ein versierter Begleiter. So können allen voran Nadine Lehner und Tamara Klivadenko, aber auch Loren Lang und Christian-Andreas Engelhardt ihre starken vokalen Qualitäten ganz ausspielen. Der Fremde ist ein Schauspieler – er muss sich schließlich von der Gesellschaft, in die er geraten ist, abheben. Uwe Schwarz verkörpert die Figur eindringlich und mit großer Hingabe an den Text. Als eindringliches Kollektiv agiert der von Daniel Mayr präzise vorbereitete Chor.

Am Ende bleibt großer Respekt vor Jörn Arneckes neuer Schöpfung und ihrer Umsetzung zurück. Ob das Werk nachhaltige neue Impulse für das zeitgenössische Musiktheater setzen wird, bleibt als Frage offen. Das Bremer Publikum stellte offenbar noch mehr Fragen an das Stück. Sehr zurückhaltenden, verhaltenen Beifall gab es für Jörn Arnecke und Hannah Dübgen, wohlwollende, aber auch recht kurze Zusatimmung für alle Musiker und das Regieteam um Philipp Himmelmann.

Christian Schütte









Fotos: Jörg Landsberg