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Fakten zur Aufführung 

KAUFMANN VON VENEDIG
(André Tchaikowsky)
28. Juli 2013
(Premiere am 18. Juli 2013)

Bregenzer Festspiele


Points of Honor                      

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Geld regiert die Welt

Sorgfältig breitet er die Leintücher auf Gerichtstisch und Boden aus, bevor sich der Beschuldigte gefasst darauf legt. Dann zieht Shylock Latex-Handschuhe über, nimmt das mitgebrachte Skalpell aus der Tasche, setzt es an die Brust des Kaufmanns Antonio und will ihm, begleitet von höchst expressiven, musikalischen Klängen, deren Sogwirkung man sich nicht entziehen kann, das halbe Pfund Fleisch im Bereich des Herzens herausschneiden. Denn so war es vertraglich vereinbart, falls der Kaufmann seine Schulden nicht bezahlen kann. Im letzten Moment wird das von Portia in der Verkleidung als Richter verhindert: Dies ist sicherlich dramaturgisch wie auch musikalisch der stärkste Moment der Oper Der Kaufmann von Venedig, die auf William Shakespeares gleichnamigem Drama basiert und jetzt bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt wird.

Komponiert wurde die Oper von André Tchaikowsky, der von 1935 bis 1982 lebte. Der bei uns völlig unbekannte Komponist wurde als Robert Andrzej Krauthammer in Warschau geboren. Die Mutter wurde 1942 in Treblinka ermordet. Mit der Großmutter floh er aus dem Warschauer Ghetto unter dem Namen Andrzej (später André) Jan Tchaikowsky, was ihm das Leben rettete. Seinen Nachnamen begann er zu hassen, da er ihn als Hindernis betrachtete und sich von seinem russischen Beinahe-Namensvetter überschattet fühlte. Er wurde ein gefeierter, technisch herausragender Pianist mit einem fotographischen Gedächtnis. Der Protektion von Arthur Rubinstein entzog er sich allerdings bald wieder und wurde immer mehr zum exzentrischen Außenseiter. Da er sich dem Komponieren nicht hauptberuflich widmen konnte, ist sein Vermächtnis klein, aber nicht unbedeutend: Neben zwei Klavierkonzerten, zwei Streichquartetten und Kompositionen für Stimme, Klavier und anderen Instrumenten ist seine Oper The Merchant of Venice sein Opus summum, ein tiefgründiges, monumentales Werk, an dem er rund ein Vierteljahrhundert arbeitete. Er bot das Opus 1980 der English National Opera an, wo sie jedoch nie aufgeführt wurde. An diesem Opernhaus war damals ein junger Spielleiter namens David Pountney aktiv, der sich jetzt als Intendant der Bregenzer Festspiele an dieses Musikdrama erinnerte. Deshalb kommt das Werk erst jetzt zu seiner späten Uraufführung.

Und diese lohnt sich auf jeden Fall! Denn David Pountney, der scheidende Intendant, hat wieder einmal, wie auch bei der bisherigen Auswahl von allen Uraufführungen und allen Ausgrabungen von Raritäten eine gute Hand und einen untrüglichen Theaterinstinkt bewiesen. Denn auch diese Oper, deren Libretto von John O’Brien stammt, und sich an Shakespeares gleichnamigem, bekannten Theaterstück orientiert, erweist sich zwar mit herber Schönheit ausgestattet, ist aber dramaturgisch wie auch musikalisch zielgerichtet und spannend aufgebaut, wenn man vom etwas langatmigen, unnötigen Epilog absieht.

Keith Warner und sein Ausstatter Ashley Martin-Davis zeigen mit zwei langen, verschiebbaren Elementen mit lauter Schubladen, die wie Schließfächer aussehen, denn Geld regiert ja bekanntlich die Welt, wie man ständig neue Räume, auch dramaturgisch raffiniert zugespitzt, erzeugen kann. Szenen und Auftritte werden punktgenau und präzise inszeniert. Viele Fassetten des Antisemitismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts werden gezeigt. Da gibt es zahlreiche optische Zitate und Hinweise auf den Ku-Klux Klan, die SA, Homosexualität, Marlene Dietrich und auf Sigmund Freud, die griechische Mythologie wie auch auf ein Gefühlslabyrinth. Das wird im zweiten Akt in Form eines grünen Labyrinths real gezeigt: Um zu Portia, der reichen Erbin, als potenzieller Verehrer zu gelangen, muss dieses erst durchschritten und dann das richtige Gefäß erraten werden, wo sich ihr Porträt befindet. Diese Szene ist durch die balzenden Bewerbungen der Prinzen von Aragon und Marokko besonders skurril gestaltet.

Unbarmherzig auf seinem Recht beharrend: Adrian Eröd singt den Shylock sehr präsent und fassettenreich mit seinem bekannt schönen Bariton. Er vermag auch die Ambivalenz des jüdischen Geschäftsmanns zwischen Täter und Opfer und seine Rachegelüste großartig darzustellen. Hingegen ist der schüchterne und unendlich duldende Christopher Ainslie als Kaufmann Antonio, der am Anfang und am Ende auf Sigmund Freuds Couch liegt, mit seinem Countertenor viel zu leichtfüßig und zu wenig durchschlagskräftig. Er ist in seinen Freund Bassanio verliebt, für den er sich auch das Geld ausborgt. Charles Workman singt und spielt diesen sehr expressiv. Magdalena Anna Hofmann singt die extrem anspruchsvolle Partie der Portia famos und mit vielen Farben. Verena Gunz ist eine sehr gute Nerissa. Stimmgewaltig hört man David Stout als Gratiano. Hervorstechend sind noch Richard Angas als Doge und Richter, Adrian Clarke als Salerio, Norman D. Patzke als Solanio, Kathryn Lewek als Jessica, Tochter von Shylock sowie dessen Liebhaber Lorenzo, den Jason Bridges vortrefflich singt.

Die mäßig moderne Musik, die Wagner, Britten und pikanterweise auch seinen Namensübervater Pjotr Iljitsch Tschaikowsky zitiert, die auch immer wieder an Schostakowitsch erinnert, ist überwiegend tonal und bekömmlich, jedoch meist von herber Schönheit, insbesondere im Epilog, wo auch viel Sinnlichkeit zu spüren ist. Die von Ballungen an Blech, vielen Soli und diffizilen Vertracktheiten gespickte Partitur wird von den Wiener Symphonikern unter dem umsichtig exakten Verwalter Erik Nielsen hochkonzentriert und präzise wiedergegeben. Und auch die überwiegend düstere, unerbittliche Kraft, die Polystilistik und die mitunter bizarre Komik erlebt man mit großer Sensibilität. Untadelig gefällt der Prager Philharmonische Chor.

Sehr angetan ist das Publikum, es spendet uneingeschränkt Beifall und jubelt sogar teilweise.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Karl Forster