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Fakten zur Aufführung 

HERZOG BLAUBARTS BURG/
BLAUBART

(Béla Bartók/Franz Hummel)
1. März 2012
(Premiere am 25. Februar 2012)

Theater Bremen


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Psychologie vom Feinsten

Der Mythos um Herzog Blaubart geht auf einen adligen Kindermörder aus dem 15. Jahrhundert zurück, ist aber später für ein Volksmärchen adaptiert worden. Dieses handelt von einem Ritter, dessen Frau die sechs Leichen ihrer Vorgängerinnen in einem Raum gefunden hat, den sie nicht hätte betreten dürfen. Bei den beiden gezeigten Opern geht es aber sehr viel mehr um seelische als um tatsächliche blutrünstige Grausamkeiten, um die Durchdringung des anderen Wesens und um die Ängste des Verlustes des eigenen Ichs. Während Bartók den Mythos aus der Sicht des einsamen Mannes schildert, beleuchtet Hummel die Perspektive der Frau. Bartók lässt seinen Herzog die junge Geliebte durch sieben Kammern führen. In der letzten findet sie ihr Ende. Hummel komponiert seine Oper auf ein Libretto von Susan Oswell, die darin Sigmund Freuds Der Fall Dora aus seinem Bruchstück einer Hysterieanalyse und Georg Trakls fragmentarisches Puppenspiel Blaubart verarbeitet. Der Titel Blaubart steht hier für das von Freud ausgelöste Angstsyndrom seiner Patientin Dora.

Das Vorspiel klingt in totaler Dunkelheit an. Allmählich wird die Bühne erleuchtet, und der Zuschauer hat Zeit, das Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle auf sich wirken zu lassen. Sieben Türen schweben in der Luft, in der Bühnenmitte steht eine Säule, von der es fast durchweg tropft und um die sich ein See bildet. Dieses entschlackte Bühnenbild gibt dem Publikum die Möglichkeit, das psychische Drama der Hauptpersonen ganz intensiv und ohne Ablenkung zu erleben. In zweiten Teil des Abends wird der Zuschauer durch einen Stacheldrahtzaun, hinter dem sich die Szenerie abspielt, in die Zeit des ersten Weltkrieges versetzt. Anknüpfungspunkte zum vorherigen Bühnenbild sind die weiterhin schwebenden Türen sowie der See, in dem sich nun allerdings eine riesige Couch befindet. Abgerundet wird dieses skurrile Bild von Tennisschiedsrichterstühlen, auf denen verschiedene Personen, etwa Richter, sitzen.

Rosamund Gilmore inszeniert ein intensives, spannungsreiches Kammerspiel, in dem die Beklemmung fast körperlich zu spüren ist. Bei beiden Opern geht es um den unerfüllbaren Wunsch, in die Seele des anderen einzudringen, ihn zu besitzen, wenn nötig auch mit körperlicher Gewalt, wie sie gegenüber Judit und Dora ausgeübt wird. Dass diese Umsetzung gelingt, ist den brillanten Darstellern zu verdanken. George Stevens als Herzog Blaubart und Tamara Klivadenko als Judit beeindrucken gerade nicht durch übermäßige Agilität, sondern als ein jede Bewegung bewusst erlebendes und zum Scheitern verurteiltes Paar. Ob im Stehen oder im Liegen, Stevens Bariton ist präzise, intensiv und kraftvoll, drängt sich dabei niemals in den Vordergrund. Glaubwürdig verkörpert er den liebenden, nach Öffnung der fünften Tür aber verzweifelnden Herzog, der die totale Offenbarung einfach nicht zulassen kann. Klivadenko spielt die fast mit kindlicher Neugier immer nach neuen Geheimnissen und Abgründen forschende Judit überzeugend. Bezeichnend ist die Szene, in der sie in Blaubarts Jackett nach einem Schlüssel sucht, eigentlich aber fast aggressiv in sein Inneres eindringen will. Ihr klangvoller Mezzosopran kommt besonders in ihrem „Ich-liebe-dich“-Geständnis zur Geltung.

Auch Alexandra Scherrmann als Dora in Hummels Oper ist eine absolut gelungene Besetzung für eine zwischen Extremen schwankende Rolle. Mal gibt sie die liebende Tochter, dann wieder die hysterische Patientin, bis sie sich schließlich – immer forscher werdend – emanzipiert von ihrem Gegenüber Sigmund lossagen kann und hoffentlich ins Freie hinausgeht. Ihr gelingen die durchaus anspruchsvollen Intervallsprünge hervorragend, und die Einbindung der Trakl-Lyrik ist überzeugend. Loren Lang agiert in der Rolle des Sigmund mal fast zart, dann wieder bestimmt. Seinen Bassbariton setzt er geschickt und psychologisierend ein, niemand soll sich ihm entziehen können. Großes Lob muss für Barbara Buffy: solch schön, von unten angesungenen Glissandi sind beachtlich. In den weiteren Rollen begeistern Kejia Xiong als Herr K. und Christian-Andreas Engelhardt als Doras Vater.

Die Bremer Philharmoniker unter Markus Poschner laufen zu Höchstform auf. Unglaublich intensiv bewegen sie sich durch Bartóks dissonanzreiche Partitur, bis sie beim Öffnen der fünften Tür mit reinem, majestätischem Dur ihren Höhepunkt erreichen. Diese dramatischen Steigerungen setzen sich auch in der zweiten Oper des Abends fort. Selten sind piano und fortissimo so bewusst ausgespielt zu hören wie an diesem Abend. Das wird auch vom Publikum honoriert, besonders starken Applaus gibt es für Poschner und sein Orchester. Auch die fantastischen Sängerdarsteller werden für diesen intensiven Abend bejubelt. Schade nur, dass einige Zuschauer Hummels Blaubart noch vor Ende der Vorstellung verlassen haben.

Diejenigen, die bis zum Schluss geblieben sind, erleben nach der Vorstellung auf offener Bühne Loren Langs Ehrung zum Kammersänger. Darüber herrscht allerseits größte Freude. Seit 23 Jahren ist der aus den USA stammende Bassbariton Mitglied des Opernensembles am Haus. Staatsrätin Carmen Emigholz würdigt ihn für seine sängerischen Leistungen und seine große spielerische Bandbreite. Das Publikum bedankt sich für Langs Treue zur Oper Bremen mit minutenlangen stehenden Ovationen.

Agnes Beckmann

 







Fotos: Jörg Landsberg