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Fakten zur Aufführung 

EIN DEUTSCHES REQUIEM
(Johannes Brahms)
29. März 2012
(Premiere am25. März 2012)

Theater Bremen im Bremer Dom

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Lauschen oder grübeln

Vor 144 Jahren hat Johannes Brahms das Deutsche Requiem erstmalig  im Bremer Dom aufgeführt. Nun übernimmt Bremens Chefdirigent Markus Poschner die ehrenvolle Aufgabe, die Bremer Philharmoniker und somit das Uraufführungsorchester des Werks zu leiten. Die Atmosphäre im Dom ist nur schwer in Worte zu fassen. Richtiggehend ehrfürchtig machen die Mauern eines Gebäudes, das seine Wurzeln im 11. Jahrhundert hat. Der Chor steht auf einer Empore im vorderen Teil der Kirche, direkt davor sitzt das Orchester. Darüber hängt eine riesige Leinwand. Die Plätze werden eingenommen, und die Erwartung auf einen interessanten Abend steigt in dem Moment, in dem auf der Leinwand ein in Flammen stehender Mensch zu sehen ist. Der Chor singt „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Der Zuschauer erahnt: Ohne den Text wird er diese szenische Darstellung wohl nicht verstehen können. Nichtsdestotrotz stellt sich schon hier die erste Gänsehaut ein, denn der Chor unter Leitung von Daniel Mayr singt berauschend.

Gefühlvoll und mit schön variierender Dynamik führt er das Publikum durch emotionale Höhen und Tiefen wie beispielsweise im V. Teil bei „Ihr habt nun Traurigkeit: aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen“. Die Solisten, Sara Hershkowitz und Martin Kronthaler, überzeugen dadurch, dass sie sich nicht in den Vordergrund drängen, dem Chor den Vorrang lassen. Die Sopranistin erfüllt den Raum ohne Kraft mit ihrer Stimme, bei Kronthaler wäre ein bisschen mehr Klangfülle wünschenswert gewesen. Er kann sich manchmal nicht gegen das Orchester durchsetzen. Dabei nimmt Markus Poschner sich stets zurück, er unterstreicht viel eher den Gesang in allen seinen Facetten. Besonders die Zuspitzungen zu Höhepunkten gelingt ihm wunderbar, Signalworte wie „Tod“, „Preis“ oder „Ehre“ wirken dadurch fast plastisch und greifbar.

Spannend ist die Inszenierung und Choreografie von Urs Dietrich. Basierend auf der Grundidee, dem Zuschauer nicht nur etwas zum Hören zu bieten, bewegen sich elf Tänzer hauptsächlich durch den Mittelgang zwischen den Kirchenbänken. Um das noch präsenter zu machen, laufen auf der Leinwand verschiedene Szenen ab, die jeweils zu den Texten passen. Die unterschiedlichen Teile des Requiems werden von den Tänzern „eingeläutet“. Mal laufen die Tänzer durch die Gänge, stets kleine helle Lichter in ihren Händen tragend, dann wiederum rufen sie sich nur gegenseitig etwas zu. In der finalen Szene tanzen sie fast wahnhaft, etwas erhöht, vor dem Orchester. Besonders eine filmisch dargestellte Szene kann beeindrucken. Die berühmte Stelle „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ wird durch einen Mann in weißer Kleidung umgesetzt, der auf dem Boden liegt. Nach und nach werden Dinge auf ihn geworfen, Kleidung, Kuscheltiere, später auch Müll. Es ist klar: hier findet ein Begräbnis statt. Mit der Zeit verschwindet der Mann unter den Gegenständen und wird vergessen. Doch halt – es gibt noch Hoffnung in der Strophe, und so wird der Müllberg schließlich wieder entfernt. Passend dazu bewegen sich zwei Tänzer durch den Mittelgang, scheinbar eingehüllt in die gesamte Kleidung, die eben von dem Toten entfernt worden ist. Christa Beland zeichnet für die Kostüme verantwortlich, sie hat zu jeder Szene eine andere neue Idee, bleibt hauptsächlich bei den Farben schwarz und weiß. Ein größerer Farbenreichtum wäre dem Stück aber auch abträglich gewesen.

Das Publikum zeigt sich beim Schlussapplaus recht verhalten. Unverständlich eigentlich, denn die gesangliche, musikalische und tänzerische Umsetzung sind großartig. Es mag allerdings sein, dass die Zuschauer einige filmische Szenen ab und an als zu drastisch empfinden. Zudem zwingen diese Sequenzen unentwegt zum Nachdenken darüber, was gerade zu sehen ist und ob das verständlich ist. Dieses andauernde Grübeln ist der Konzentration auf das Zuhören abträglich. Nichtsdestotrotz ist dieser Abend eine positive Bereicherung mit ganz neuen Sichtweisen auf das Deutsche Requiem.

Agnes Beckmann

Fotos: Jörg Landsberg