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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
26. Januar 2014
(Premiere)

Theater Bremen

Points of Honor                      

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Gesang

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Außen bunt, innen grau

Giacomo Puccinis La Bohème, das ist in Bremen die Geschichte einer Männerclique, die sich mit Witzeleien, permanenter Selbstinszenierung, gespielter Sorglosigkeit und Flucht in Nebensächlichkeiten über die Kälte ihres tatsächlichen Lebens hinwegzutäuschen versucht. Die männliche Sicht dominiert das Stück so sehr, dass es keiner Spielpartnerinnen auf der Bühne bedarf: Die Frauen sind lediglich das Produkt männlicher Literatur, sie sind nicht reale Projektionsfiguren, eine bloße Utopie der Wärme und des Lebens und eine Möglichkeit der Liebe, die nicht stattfindet. Die vier Männer, ein Dichter, ein Maler, ein Komponist und ein Philosoph, machen die Kunst zu ihrem Leben, aber das Werk, das sie erschaffen, entsteht weder als Text auf Papier noch als Farbe auf Leinwand oder als Noten auf Linien – vielmehr ist es ihr eigenes Leben, das sie als Gegenstand ihrer Kunst setzen. Aber entgegen jeglicher Bemühungen bleibt die Wärme des Lebens trotz der zwei Frauen, die ihnen als Quelle der Inspiration dienen sollen, aus. Am Ende muss sogar eine der beiden, die es vermutlich nie gegeben hat, sterben, damit endlich doch noch Kunst in Form eines Stücks Literatur entstehen kann.

Benedikt von Peter lässt die beiden Frauen – Mimi, die femme fragile, und Musetta, die femme fatale – jeweils an den Seitenrändern der Bühne hinter einem schwarz-durchsichtigen Vorhang auftreten. Auf der Bühne werden die Darstellungen bis auf wenige kurze Szenen von den Männern übernommen, die sich dann zum besseren Verständnis in ein Kleid hüllen. Eine schöne Idee, stellt sie doch von Peters Einfall einer nicht-realen, lediglich ersponnenen, literarisierten Liebe so plastisch dar.

Der Regisseur stellt die Kunst in den Mittelpunkt der Handlung. Sie, so seine Intention, solle in allen Situationen auf der Bühne konkret, aber zugleich offen und weit bleiben, als ob die Protagonisten mit großem Pinsel – ähnlich einer Jam-Session – das Kunstwerk selbst schaffen beziehungsweise ihre Lebensweise zum Kunstwerk erheben. Als optische Unterstützung dienen ihm Farben aus Spritzflaschen, mit denen sich die Männer gegenseitig besprühen und Pistolen, aus denen Luftschlangen kommen. Eine gewagte, bisweilen unmotiviert erscheinende Idee, die nicht bei allen Besuchern gut ankommt – bereits nach dem zweiten Akt gibt es Buhrufe. Katrin Wittig hat die Bühne entsprechend leer gelassen, bis auf einen Tisch und wenige Stühle sind die immer bunter werdenden Darsteller alleiniger optischer Höhepunkt. Die Kleidung hat Geraldine Arnold leger gehalten, sie wechselt zwischen locker sitzenden Hosen und Pullovern und rosa Kleidern, wenn die Männer als Frauen auftreten.

Von den sechs Musikern wird an dem Abend, der eine Stunde und fünfzig Minuten ohne Pause währt, so einiges abverlangt. Tenor Luis Olivares Sandoval gibt einen wunderbar zerrissenen Rodolfo, der zwischen Liebe und Angst vor Mimis Tod schwankt und seine Gefühle mit betörendem Timbre farbenreich umsetzt. Raymond Ayers als Marcello trumpft mit seinem starken Bariton bisweilen mächtig auf, hat er seine Musetta und ihre Anziehungskraft auf ihn doch so gar nicht unter Kontrolle. Christoph Heinrich als Colline vereint wunderbar kluge Stimmgewalt mit bewusster Dramaturgie. Besonders in der Mantel-Arie kommt sein sensibler Bass-Bariton zur Geltung. Patrick Zielke gibt dem Schaunard mit technisch sehr gut geführter, ausdrucksstarker Stimme eine wunderbare Tiefe, die er auch in der koketten Frauenrolle – er gibt die Musetta – beibehält. Marysol Schalit singt diese Rolle mit vollem, rundem Sopran, der ihrer Partie eine große Reife vermittelt. Ihr Gegenstück, Mimi, wird von Nadine Lehner mit ganz famosem, betörendem lyrischen Sopran gegeben. Mit dieser beeindruckenden, intonationssicheren, an Ausdruckskraft vollen Stimme wird die Arie Mi chiamano Mimi fast zum Höhepunkt des ganzen Abends.

Der von Daniel Mayr und Jinie Ka einstudierte Chor und Kinderchor tragen zu dem Klangerlebnis durch ebenmäßig intonierte Partien und dynamische Gesangslinien bei. GMD Markus Poschner am Pult der Bremer Philharmoniker spielt Puccinis Musik mit hochdifferenzierter Spannung, viel Feingefühl und zwingender Intensität. Eine großartige Leistung!

Das Premierenpublikum zeigt sich komplett gespalten: Die eine Hälfte applaudiert, die andere buht – das gilt allerdings dem Regieteam, nicht den fantastischen Darstellern und Musikern. Die Sänger und Poschner erhalten lang anhaltenden, begeisterten Beifall für ihre überragende Darbietung.                 

Agnes Beckmann





Fotos: Jörg Landsberg