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Fakten zur Aufführung 

ANDRÈ CHÈNIER
(Umberto Giordano)
2. August 2011
(Premiere 20. Juli 2011)

Bregenzer Festspiele


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Opulente Herausforderung an die Sinne

Die Bregenzer Festspiele setzen mit ihren spektakulären Neuproduktionen auf der Seebühne seit Jahren neue Maßstäbe für Open-Air-Musiktheater. Der Spagat zwischen populärer Show und hochwertigem Kunstgenuss wird möglich durch eine sorgsam durchdachte, ambitionierte Programmgestaltung und Experimentierfreude mit modernsten Mitteln der Technik bei der Realisierung im szenischen wie auch im akustischen Bereich.

Mit Giordanos eher selten gespielter Revolutionsoper André Chénier wurde nach zwei Jahren Aida nun ein Werk von Intendant David Pountney in die Spotlights der Seebühne gestellt, das viel Öffentlichkeitsarbeit nötig hat, um die breite Publikumsmasse zu erreichen. Immerhin können für 24 Aufführungen jeweils gut 6000 Menschen im Publikum Platz nehmen. An einem Abend wie dem 2. August ist es kein Problem, das Areal bis auf den letzten Platz zu füllen, denn bei optimalen Wetterbedingungen präsentiert sich  der Bodensee im Sonnenuntergang von der traumhaftesten Seite, und die sensationelle Bühnenkonstruktion erglüht geheimnisvoll im Abendrot.

David Fielding hat für Regisseur Keith Warner Haupt und Torso des getöteten Marat aus dem Badewasser erstehen lassen. Zunächst ist das Gesicht noch mit einem Tuch verhüllt, Luftakrobaten an Seilen betanzen im ersten Akt diesen Kopf wie einen Hügel, später kriechen Protagonisten aus seinem Mund und im Inneren des Schädels befindet sich eine Bibliothek - Ort des Wissens und Symbol der Aufklärung.

Und es gibt noch weitere Spielflächen: 

Für die von Constance Hoffman pompös ausgestatteten Mitglieder des Adels ist es ein Stück Papier in der rechten Hand des Marat, das zunächst eine historische Einladungskarte, dann den Brief aus dem zitierten Gemälde von Jaques-Louis David darstellt. Es schwenkt von der Mitte der Bühne nach rechts außen, wenn die wütenden Revolutionäre, angeführt vom ehemaligen Diener Carlo Gérard, ihr zerstörerisches Werk beginnen. Sie bewegen sich über die Treppen, die die Brust des Bühnenkörpers in zwei Teile spaltet.

André Cheniers Spielfläche ist ein aufgeklapptes Buch über der rechten Schulter. Der ovale Spiegel gegenüber mit zwei brennenden Kerzen als Symbol für die Liebe ist zunächst optischer Schmuck und Rahmen für die malerischen Artistennummern, liefert aber auch das grandiose Schlussbild mit einer Projektion des Todes auf einen Wasservorhang, in dem sich die weiße Gestalt der von Maddalena geretteten Frau als Hoffnungsschimmer abzeichnet.

Es braucht einige Zeit, bis man sich in der Vielfalt dieser Symbole und der überdimensionalen Räumlichkeit dieses Bühnenkunstwerkes zurechtfindet. Auch akustisch, obwohl das eigens für Bregenz entwickelte Soundsystem auf neuestem Stand ist. Die Feinarbeit des Dirigenten Ulf Schirmer zusammen mit der Tontechnik ist etwas stärker zugunsten des opulenten und atmosphärisch dichten Orchesterklanges ausgefallen, denn gelegentlich werden die Solisten zugedeckt. Die Wiener Symphoniker und Schirmer kann man auf seitlichen Monitoren im Augenwinkel auch mitbekommen, wenn man das Bühnengeschehen außer Acht lässt. Sollte man aber lieber nicht, dazu geschieht zu viel. Glücklicherweise können alle Solisten sich durch ihre stimmliche Präsenz behaupten. Die Strahlkraft von Héctor Sandoval in der Titelpartie wird durch die satten, samtigen Klänge von Norma Fantinis Maddalena wunderbar ergänzt; Scott Hendricks als geläuterter Bösewicht Gérard ist ebenfalls erstklassig besetzt und beeindruckt in seiner großen Szene „nemico della patria“.

Die gut zweistündige Aufführung ohne Pause liefert für die Szenenwechsel noch zusätzliche musikalische Überbrückungen, die von David Blake komponiert wurden: Revolutionslieder und Soundeffekte mischen sich und verstärken die Eindrücke existenzieller Bedrohung durch Gewalt und Chaos.

In jedem anderen Rahmen zu viel des Guten, für die Bregenzer Seebühne und die gigantischen Dimensionen dieser Produktion eine ideale Ergänzung.

 Ingrid Franz




 
Fotos: Karl Forster