Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ALL DIESE TAGE
(Moritz Eggert)
18. Mai 2012
(Uraufführung am 28. April 2012)

Theater Bremen

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Overkill versus Message

Es läuft dann im Endeffekt meistens darauf hinaus, dass ich Computer anmache und dann […] forsche ich jetzt ein bisschen im Internet und dann im Endeffekt aber abdrifte, und dann gibt’s ja Facebook und E-Mails und naja, dann verplemper ich meistens meine Zeit“, berichtet der Bremer Jugendliche Cedric. Diese und andere Interviews mit Bremer Jugendlichen sind Ausgangspunkt für Moritz Eggerts Zeitoper All diese Tage. In 14 Szenen werden Alltagssituationen thematisiert, die sich mit dem immer stärker werdenden Zwang des Vernetztseins, der damit verbundenen Desorientierung in einer schnelllebigen Welt und der immer größeren Vereinsamung befassen. Eggerts Intention ist es, die große Operntradition, bloß nichts „Banales“ auf die Bühne zu bringen, zu unterwandern. Mit einem Stamm aus 35 Jugendlichen hat der Regisseur Michael Talke so eine laute, bunte, schrille, vielfältige und überfordernde Oper auf die Bühne gebracht.

Die Idee, möglichst viel auf die Bühne zu bringen, ist sicherlich eine gute – verfehlt aber ihre Wirkung. Der Junge, den es nicht gibt, wird trotz seines Supermankostüms ignoriert. Er lebt nur von der Gewissheit, wenigstens viele Facebook-Freunde zu haben. Merkwürdigkeiten – warum trägt er gerade dieses Kostüm? – und Klischee verwabern zu einem undurchdringbaren Dickicht. Die Hauptdarsteller und die fast immer im Hintergrund befindlichen Chöre tun ihr Übriges dazu. Die Zeit der Reflektion wird nicht gewährt. Stattdessen geschehen auf der Bühne so schnell so viele neue Dinge, dass die Überforderung in kleine Debatten zwischen Kindern und Eltern übergeht.

In der Ausstattung von Henrike Engel spiegelt sich dieser Ideenreichtum natürlich wider. Ein paar It-Girls tragen knallbunte rosa Kostüme, aber auch ganz normale Arbeiter erhalten passende Kleidung. Die Bühne ist größtenteils schlicht gehalten mit Tischen, Stühlen und Regalen. Das Werk lebt von so guten Ideen wie einer riesigen Leinwand, auf der ein Online-Angelspiel simuliert wird.

Den Darstellern ist ein großes Kompliment zu machen. Schauspielerisch, sängerisch und tänzerisch macht die Oper großen Spaß und ist sehr unterhaltend. Besonders die jüngsten Hauptdarsteller Christopher Skilton und Fritjof Klingenberg haben Spaß an ihrem großen Auftritt, den sie zwar mit ein wenig brüchiger Stimme, ansonsten aber ohne allzu große Aufregung meistern. Ganz toll ist auch Benjamin Boresch, der Stimmkünstler. Er rappt, was das Zeug hält, und ist zudem auch noch ein guter Performer. Alexandra Schermann als der Junge, den es nicht gibt, Bjørn Waag als Vater und Tamara Klivadenko als Mutter überzeugen stimmlich und bringen die Hoffnung, Verzweiflung und Verwirrung, die diese hochtechnisierte und anonyme Welt mit sich bringt, gut rüber. Sehr präsente Figuren sind auch Barbara Buffy als Josefine, Kejia Xiong als Julian und Sirin Kiliç als Gülistan. Auch für sie gilt, dass sie zwischen gehetzt, verängstigt, aber auch fröhlich alle Stimmungen überzeugend vermitteln.

Moritz Eggert ist für seine zeitgenössische Oper den Spagat eingegangen, E- und U-Musik zu kombinieren, und Florian Ziemen hat diesen Geist voll erfasst. Sicher führt er sein Orchester hin zu dramatischen Höhepunkten im Geiste der Neuen Musik, untermalt das Geschehen auf der Bühne mit Alltagsgeräuschen und springt locker zwischen Rap und Popsong hin und her. Das Orchester leistet Großes, ebenso wie Daniel Mayr, der die Chorleitung innehat.

Das Publikum bedankt sich mit gemäßigtem Applaus für diesen Abend. Wer sich im Nachhinein im Programmheft die Interviews mit den Jugendlichen durchliest, wird die Intention der Oper verstehen. Wer darauf verzichtet, wird mit einem Gefühl der Verwirrung und Überforderung zurückbleiben. Schade, denn die Wünsche der Jugendlichen nach mehr Beachtung und Beisammensein vor allem in der Familie verdienen, ernst genommen und umgesetzt zu werden.

Agnes Beckmann





Fotos: Jörg Landsberg