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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
26. August 2011
Premiere: 20. August 2011

Staatstheater Braunschweig
Burgplatz


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Kleines Mädchen mit großem Schwert

In dieser Gesellschaft gibt es keine Individuen mehr. Alle sehen gleich aus, Frauen wie Männer, alle tragen graue Anzüge, weiße Handschuhe, rote Krawatten. Das schwarze Haar ist streng nach hinten frisiert, die schwarzen Brillen haben dicke Ränder – alle stehen prototypisch für die Verkörperung des kommunistischen China. Auch die drei Minister stechen aus dieser gleichgeschalteten Masse nicht hervor. Der Kaiser trägt schwarz, seine eisige Tochter das Gewand eines scheinbar braven, kleinen Mädchens – dessen Gefährlichkeit indes durch ein übergroßes Schwert überdeutlich wird. Farbtupfer in dieser Tristesse der Kostüme – von Ingeborg Bernerth entworfen – sind Bedienstete, Damen in rot, Herren in weiß, unter ihnen sind Liù und Timur, vom System instrumentalisiert.

Auf der runden Spielfläche in der allsommerlich auf dem Burgplatz in Braunschweig aufgebauten Opernarena sitzen Volk und Herrscher an mehreren runden Tischen, mit Mikrofonen und Telefon, rot ist die beherrschende Farbe, Fußboden, Sitzflächen, ein großer Aufbau mit dem Foto des Machthabers im Hintergrund – dieses rot ist nicht nur markant, es erschlägt beinahe. In diesem von Tom Musch gestalteten Raum lässt Regisseur Robert Lehmeier seine Sicht der Turandot spielen. Die ist in weiten Teilen konsequent, zielt vor allem auf die Kälte und Unerbittlichkeit des Systems ab, was Turandot und ihren Staat im Griff hält. Nüchtern, fast streng nimmt das Geschehen seinen Lauf. Von der Symbol- und Märchenhaftigkeit der literarischen Vorlage ist da nicht viel zu sehen. Das muss allerdings auch nicht zwingend sein, liefert Puccinis Partitur doch einen üppig schillernden Kontrapunkt zur Gefühlskälte auf der Bühne. Diesen Gegenpol stark zu besetzen und damit eine Reibung zwischen Bühnengeschehen und Musik zu erreichen, ist offenbar Lehmeiers Intention, deren Umsetzung ihm bis auf kleine Schwachstellen gelingt.

Georg Menskes betont mit dem Staatsorchester Braunschweig sowohl die feinen, lyrischen und durchaus schwelgerischen Seiten der Partitur ebenso wie die rhythmischen und dynamischen Schroffheiten. Dass da einiges mehr angedeutet bleibt, ist sicher der akustischen Schwierigkeit dieser Open-Air-Produktion zuzuschreiben, Das Orchester sitzt unter einem zur Bühne hin geöffneten Zelt und wird von da aus über Lausprecher verstärkt. Da bleiben leider einige Feinheiten, die gleichwohl zu erkennen waren, im akustischen Gesamteindruck zu sehr auf der Strecke. Der wie stets souveräne Chor erfüllt seine Rolle als gleichgeschaltete Volksmasse sehr gut.

Unter den Solisten ragen Irina Rindzuner in der Titelpartie und Jung Nan Yoon als Liù heraus. Rindzuner schafft es mit ihrem nicht immer lupenrein intonierenden, voluminösen Sopran dennoch durch weit ausgesungene Bögen und gekonnt platzierte dramatische Attacken ihrer Rolle ein starkes Profil zwischen grausamer Kälte und immer wieder durchschimmernder kindlicher Verletzlichkeit zu geben. Jung Nan Yoon gibt der Liù fast schon zu üppige Töne, lässt die Figur damit aber selbstbewusster erscheinen als oft zu hören und vermag vor allem durch die ausgesprochen schöne Lyrik ihres Organs zu überzeugen.

Arthur Shen gibt dem Calaf vor allem in der Mittellage kraftvolle Töne und kann da sein für dieses Repertoire sehr geeignetes Timbre fabelhaft einsetzen. Die ausgesprochenen Höhen der Partie sind noch nicht seins, da klingt einiges recht stumpf und blass. Christian Hübner verkörpert als sein Vater Timur Entmachtung und Demütigung des früheren Tatarenkönigs. Überzeugend besetzt sind ebenfalls die Minister mit Malte Roesner, Tobias Haaks und Steffen Doberauer, ebenfalls der Mandarin von Orhan Yildiz. Und selbst die oft eher unterrepräsentierte Partie des Kaisers Altoum bleibt hier durch die gebrochenen, aber gerade deswegen für den alternden Herrscher umso charismatischeren Töne von Anatoli Golev im Gedächtnis.

Die bis hierhin formulierten Eindrücke beziehen sich nur auf die ersten beiden Akte. Ein starkes Gewitter erzwingt einen Abbruch der Vorstellung nach der Pause. So wird das Publikum schmerzhaft um den Schlager schlechthin, Nessun dorma, gebracht  Aber dieses Risiko gehen beide Seiten, Veranstalter und Publikum, bei Produktionen unter freiem Himmel immer ein. Große Zustimmung gibt es nach dem zweiten Akt, sehr freundlich und verständnisvoll ist die Reaktion auf den Abbruch.

Christian Schütte

 





 
Fotos: Karl-Bernd Karwasz