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Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS UND EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)
5. Februar 2012
(Premiere)

Staatstheater Braunschweig


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Liebe und Leid

Seit der ersten Vertonung des griechischen Mythos von Orpheus und Eurydike um 1600 haben sich etwa 70 Komponisten mit dem Stoff auseinander gesetzt. Dabei variiert vor allem das Ende stark zwischen den Gegenpolen glücklich beziehungsweise tragisch. Für das Staatstheater Braunschweig haben Dorian Dreher und Christopher Hein eine neue Fassung des Stoffs erarbeitet, in der sie Glucks Wiener und Pariser Fassung, Arien von Peri, Telemann und von Hein neu komponierte Abschnitte zusammenführen. Heraus kommt eine spannende Mischung aus epochenübergreifender Musik, einer – hinzuerfundenen – zweigeteilten Künstlerfigur und einem ganz eigenen Schluss.

Der Orpheus-Stoff ist hochkomplex, wobei es die inneren und nicht die äußeren Umstände sind, die der Komplexität geschuldet sind. Aus diesem Grund und auch aufgrund mangelnden Platzes hält Felicia Schick das Bühnenbild schlicht, mit nur wenigen Veränderungen. Gespielt wird in der „Hausbar“, einem der Foyers des Theaters. Dem Zuschauer öffnet sich ein szenischer Schauplatz, in dem mal das Bett, die Kommode, auf der ein Grammophon steht, und in der sich Alkohol verbirgt, oder eben das Hinterzimmer des Künstlers, vom eigentlichen Handlungsplatz durch ein Regal voller Büsten getrennt, im Vordergrund stehen. Auch die Kostüme hält sie einfach, aber stilvoll. Orpheus und der Künstler treten in braunen Hosen und Jackett auf, während Eurydike und Amor in weiße Satinkleider gehüllt sind.

Dorian Drehers Inszenierung stellt die von Gluck intendierte Verwandlung eines sich von der barocken Affektästhetik emanzipierenden Orpheus dar, der sich im Handlungsverlauf zu einer klassischen Figur mit individuellen Gefühlen verwandelt. Darstellerisch inszeniert er den Künstler anfangs als Marionette von Orpheus, der sich aber von den Fesseln befreien kann und  sich zu einer eigenen, kämpferischen Natur entwickelt.

Tobias Haaks verkörpert diesen zweigeteilten Künstler großartig. Von Trauer zerschmettert gibt er sich im ersten Teil und gewinnt nach der Begegnung mit Eurydike zunehmend an Schaffenskraft und Feuer im Spiel. Mit Inbrunst wirft er die Gipsskulpturen, die seine geliebte Frau darstellen sollen, nacheinander um. Sein kraftvoller und emotionsgeladener Tenor entfaltet gerade in den Endszenen eine ganz besondere Stärke. Dem großen Stimmumfang und der Ausdrucksstärke von Julia Rutigliano ist es zu verdanken, dass der Orpheus zu so einer überzeugenden Figur wird. Ob nahezu sanft, weil verletzt oder herrisch, bösartig und auch optisch, dem Mephisto ähnlich, Rutigliano singt und spielt  mühelos wendig durch die Szenen. Auch Simone Lichtenstein als Eurydike verleiht ihrer Figur eine besondere Ausdruckskraft. Ihr Sopran changiert zwischen gefühlvoll und zart, kann aber auch unbändig und temperamentvoll sein. Moran Abouloff schließlich gibt anfangs einen selbstbeherrschten, da zur Statue bestimmten Amor, der den Künstler alsbald mit viel ruppiger Zärtlichkeit zu verführen, aber auch zu erwecken versucht. Ihr Sopran ist ebenso schillernd wie ihr - leider viel zu kurzer - Auftritt.

Christopher Hein übernimmt die musikalische Leitung. Der junge Dirigent leitet das mit nur zehn Musikern besetzte Orchester mit großem Elan. Besonderer Clou in der musikalischen „Inszenierung“ sind sicherlich die Grammophonmusik zu Beginn und Ende sowie die etwas gewöhnungsbedürftige Orgelmusik inmitten des Stücks. Hein führt seine Musiker dynamisch und kraftvoll durch die Höhen und Tiefen des Geschehens, über Wehklagen und Verzweiflungsgesänge hin zu den erlösenden Momenten.

Das Publikum bedankt sich für diese sehr intime Vorstellung mit viel Applaus. Künstler und Musiker zum Greifen nah präsentiert zu bekommen, ist einfach etwas Besonderes und hinterlässt beim Publikum dieses spezielle Gefühl, ein Teil der Aufführung gewesen sein zu dürfen. Danach findet ein reger Austausch, verbunden mit vielerlei Interpretationsversuchen, bei Zuschauerinnen und Zuschauern statt: Ein gutes Zeichen für eine gelungene Vorstellung.

Agnes Beckmann

Fotos: Karl-Bernd Karwasz