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Fakten zur Aufführung 

ISABEAU
(Pietro Mascagni)
19. März 2011
(Deutsche Erstaufführung)

Staatstheater Braunschweig


Points of Honor                      

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Audiobeitrag

Gespräch mit Operndirektor Jens Neundorff von Enzberg und Regisseurin Konstanze Lauterbach

 

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Missbrauchte Prinzessin

Vor genau 100 Jahren wurde Pietro Mascagnis Oper Isabeau in Buenos Aires mit großem Erfolg uraufgeführt. Die Geschichte geht zurück auf eine mittelalterliche Legende. Isabeau ist die einzige Tochter und das letzte noch lebende Kind des Königs Raimondo und soll zur Rettung des Staates, der auf den Bankrott zusteuert, verheiratet werden. Isabeau lehnt alle Bewerber ab. Der König verhängt in blindem Wahn harte Strafen über sein Volk, das er für diese Entscheidung Isabeaus verantwortlich macht. Sie nimmt jedoch die Schuld auf sich, wird daraufhin von ihrem Vater verstoßen und muss als Strafe auf ihrem Schimmel nackt durch die Stadt reiten. Niemand darf sie dabei ansehen. Folco, ein Falkner, übergeht aus Liebe zu Isabeau dieses Verbot und wird dafür gefangen genommen – ein junger Mann, der ganz mit der Natur lebt und wie ein Fremdkörper in die höfische Welt eindringt. Isabeau verliebt sich in ihn. Doch diese Liebe hat keine Zukunft, Folco wird mit dem Tod bestraft, Isabeau verletzt sich selbst tödlich.

Diese Geschichte schwankt zwischen privatem und politischem Schicksal, zwischen Märchen und schroffem Realismus. Regisseurin Konstanze Lauterbach, die auch die Kostüme entworfen hat, schafft zusammen mit Bühnenbildner Andreas Jander einen Raum, der sowohl das mittelalterliche und märchenhafte Millieu andeutet, dabei auch die politische Dimension eines machtbesessenen Systems nicht ausspart. Wo optisch also verschiedene Anknüpfungspunkte zu erkennen sind, so konzentriert sich Konstanze Lauterbach in ihrer Personenführung ganz auf die tiefen inneren Empfindungen der Figuren. Sie stellt die gequälten, an sich selbst zweifelnden, dabei – am Beispiel Folcos – auch durchaus unbedarften Seelenzustände der Protagonisten in bezwingenden Bildern dar. Das Schicksal der Isabeau, die vom Volk als reines Wesen geliebt und von ihrem Vater rücksichtslos zur Rettung des Staates instrumentalisiert wird, bringt die Regisseurin in spannungs- und stimmungsstarken Bildern auf die Bühne.

Wer Mascagni nur von Cavalleria rusticana kennt, für den ist diese Wiederdentdeckung fast schon eine Offenbarung. Welche Entwicklung der Komponist in den 21 Jahren, die zwischen den Uraufführungen beider Werke liegen, vollzogen hat hinsichtlich Instrumentierung, Harmonik, der Fähigkeit, Musik gezielt und differenziert als Bruch, Kommentar, unmittelbare Reaktion auf das dramatische Geschehen einzusetzen, ist eindrucksvoll. Die schwelgerische Opulenz der Partitur, das ausladende Pathos und die Süße mancher melodischer Einfälle haben zwar durchaus die Qualitäten auf Breitwand-Klang angelegter Filmmusik, sind dabei aber selten plakativ. Dazwischen gibt es immer wieder schroffe, harte Momente, in denen Mascagni nicht nur sein Talent als Musikdramatiker in besonderer Weise zeigen kann, sondern in denen er sich vor allem als moderner Opernkomponist zeigt, der die Strömungen um ihn herum durchaus wahrnimmt. Georg Menskes spürt diesem einerseits so vertraut scheinenden Mascagni-Klang, der doch aber ganz neu und individuell ist, mit dem prachtvoll-klanggewaltig aufgelegten Staatsorchester in den so unterschiedlichen Facetten sehr sensibel nach und verdeckt damit auch den Stellen, an denen es beinahe unmöglich scheint, die Solisten auf der Bühne in keinem Moment.

Großen Respekt verlangt es der Ensemblepolitik des Braunschweiger Hauses ab, dass ein insbesondere in den Hauptpartien so anspruchsvolles Werk vollständig aus den hauseigenen Reihen besetzt werden kann. Die mörderische Partie des Folco bringt jeden Sänger, der sich ihr stellt, sicher an seine Grenzen. Arthur Shen steht diese zehrende Aufgabe bewundernswert durch, platziert die Ausbrüche in den höchsten Lagen sehr sicher und findet dabei immer wieder zu feinen Pianofarben. Seine großartige sängerische Leistung intensiviert er noch durch eine nicht minder souveräne darstellerische Umsetzung.

Mária Porubcinová ersingt sich in der Titelpartie einen ebenso verdienten persönlichen Triumph. Auch bei ihr nehmen sängerische und schauspielerische Leistung auf Augenhöhe für sich ein. Großartig gelingt ihr die Wandlung vom reinen Wesen, das sich nur von Qualen begleitet seinem Vater und den Regeln des Königreichs beugt, großes Leid zu ertragen fähig ist, zur liebenden Frau, die genau an dieser Liebe scheitert und nur im Tod enden kann. Ihr Sopran klingt in den zarten, lyrischen Momenten etwas rau, was der Figur aber nur entgegenkommt, und kann erst in den dramatischen Ausbrüchen ganz aufblühen. Mária Porubcinová gelingt ein zutiefst berührendes Rollenporträt, gipfelnd in der bezwingend inszenierten Szene ihres nackten Rittes.

In den übrigen Rollen zeigt sich die aktuelle Qualität des Braunschweiger Ensembles nicht minder. Vor allem Selçuk Hakan Tiraşoğlu als König Raimondo und Julia Rutigliano als Folcos Großmutter Giglietta singen und spielen mit einer Eindringlichkeit, die im Gedächtnis bleibt. Dae-Bum Lee als L’Araldo, Oleksandr Pushniak als Messer Cornelius und Malte Roesner als Cavalier runden eine überzeugende Ensembleleistung ab, ebenso der Chor, der in kleineren Partien auch solistisch gefragt ist.

Diese Wiederentdeckung leistet einen wertvollen Beitrag dazu, den fast ausschließlich auf die frühe Cavalleria rusticana reduzierten Mascagni als den Opernkomponisten zu zeigen, zu dem er sich entwickelt hat. Das Staatstheater Braunschweig stellt sich dieser Aufgabe mit beachtlichem Erfolg. Das Publikum folgt dem sehr konzentriert, großer Jubel für alle Beteiligten – verhaltene Buh-Rufe für das Regieteam haben keine Chance.

Christian Schütte

 









 
Fotos: Staatstheater Braunschweig