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Fakten zur Aufführung 

DER BARBIER VON SEVILLA
(Gioacchino Rossini)
4. Februar 2012
(Premiere)

Staatstheater Braunschweig


Points of Honor                      

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Ein farbenfrohes Vergnügen

Rossini ist gerade 24 Jahre alt, als sein Barbier von Sevilla uraufgeführt wird. Diese erste Aufführung wird zu einem großen Reinfall, erst die zweite kann das Publikum überzeugen. Die Gründe sind vielseitig, einer ist sicherlich in den fehlenden Moralprinzipien der Figuren zu suchen. „Bei dem Gedanken an Geld gerät mein Gehirn in Wallung“, gibt Figaro in einem Duett mit dem Grafen zu. Bei Letztgenanntem könnte das Wort „Geld“ durch „eine neue Eroberung“ ersetzt werden, er hat es schließlich auf Rosina abgesehen. Diese wird von ihrem Vormund Bartolo festgehalten, auf den die erste Aussage absolut zutrifft. Inmitten dieser Geld- und Machtspiele könnte Rosina als reine Seele hervorstechen, die auf der Suche nach der wahren Liebe ist – so ist es aber nicht. Auch sie ist eine pragmatisch denkende Figur, die sich gegen das Gefängnis, also notgedrungen für den Grafen entscheidet.

Michael Talke lässt seine Inszenierung immer wieder auf einer Metaebene stattfinden, als Theater im Theater. Die Darstellerin der Berta hält zu Beginn ein Schild mit der Aufschrift „1. Akt“ hoch,  dieser Einfall begegnet dem Zuschauer immer wieder. Auch übernimmt der Diener Ambrogio zusätzlich die Rolle eines Erzählers, der den Zuschauer auf originelle und lustige Weise durch die Handlung führt. Seine einführenden Worte beispielsweise lauten „Sie kennen mich nicht aus dem Opernführer. Ich bin Ihr Gastgeber.“ Immer wieder gibt er Regieanweisungen, die von den handelnden Figuren vorgeblich nur in gesungener Form – als Rezitativ – verstanden werden. Auch lässt er Rosina und dem Publikum zum Ende augenscheinlich die freie Wahl auf einen andersgearteten Schluss: Rosina solle sich doch für ein selbstbestimmtes Leben ohne ihren herrischen Vormund und den falschen Lindoro entscheiden. Er lenkt allerdings ein, weil er weiß, dass das Publikum ein großes Finale erwartet, und so endet auch diese Aufführung mit der Vermählung Rosinas und des Grafen.

Insgesamt inszeniert Talke ein buntes und schnelles Treiben, das sich ganz dem oberflächlichen Rausch und nicht der tiefenpsychologischen Untersuchung von Gefühlen widmet. Barbara Steiner hat diese Schnelllebigkeit und Austauschbarkeit von Emotionen vor dem Hintergrund der Gier nach Geld und Macht in großartiger Weise dargestellt: Das Geschehen findet auf einer Drehbühne statt, die schnelle szenische Veränderungen ermöglicht. Für den Zuschauer wirkt das Bühnenbild wie ein Karussell, das sich beliebig oft drehen kann, irgendwann stoppt und dann einen Auszug aus dem Leben einer Figur präsentiert. Die fantastische Lichtgestaltung von Frank Kaster in jedem einzelnen Zimmer, die Lichter auf den Türrahmen und eingelassen in die Treppenstufen, unterstreicht diesen Eindruck und entführt den Zuschauer in die Welt des Varieté. Inge Medert hat für eine derartige Welt die entsprechenden Kostüme entworfen. Der Männerchor tritt in glitzernden blauen Anzügen auf. Figaro, der auch mal eine Ein-Mann-Show präsentiert, wirkt in seinem schwarzen Anzug wie der geborene Entertainer und Graf Almaviva darf seine Überzeugungs- und Verführungskraft im Superman-Kostüm ausprobieren.

Auch stimmlich, mit seinem in allen Lagen wohlklingenden Tenor, versucht Matthias Stier in der Rolle des Grafen Almaviva, Rosina zu umgarnen und für sich zu gewinnen. Zudem besticht er in seiner Verkleidung als Superheld im Soldatenkostüm beziehungsweise umgekehrt auch durch seine sehr charakterstarke Darstellung im Duett mit Bartolo. Sarah Ferede gibt die selbstbewusste Rosina überzeugend. Ihr Mezzo klingt in allen Arien und Ensembles stark und bestimmt, selbst von Almavivas Gesangstipps lässt sie sich nicht verwirren. Taras Konoshchenko als Bartolo gibt den durchaus gewieften Vormund, der sich durch Almavivas Spielchen nicht verwirren lässt. Beherrscht und mit souveräner Überlegenheit lässt er seinen Bariton mit den anderen Stimmen spielen und sich an ihnen messen. Komödiantisch darf er sich ausprobieren, als er mehrfach die Kontrolle über Teile seines Körpers verliert und wiederholt aus der Ohnmacht erweckt werden muss. Ein großes Kompliment für Orhan Yildiz als Figaro: Er besticht durch einen wunderbar klaren und vollen Bariton, der jede seiner Ein-Mann-Darstellungen im vorderen Bühnenteil zu einem Höhepunkt macht. Er verkörpert die Titelfigur mit so viel Fröhlichkeit, Hingabe und Gewitztheit, dass das Zuschauen und -hören große Freude bereitet. Beeindruckend setzt sich auch Selçuk Hakan Tiraşoğlu als Don Basilio mit seinem dunklen, reinen Bass in Szene. Er lässt sich hier und dort bestechen und verheiratet diejenigen, die am besten zahlen. In der Rolle des Fiorillo, der Berta und des Offiziers überzeugen Malte Roesner, Hyo-Jin Shin und Tadeusz Nowakowski. Auch der Herrenchor des Staatstheaters Braunschweig unter Leitung von Georg Menskes begeistert schauspielerisch durch immer wieder humorvolle Partien und ist auch stimmlich präzise und immer präsent.

Das Staatsorchester fasziniert durch dichtes und die Spannung stets aufrecht erhaltendes Spiel unter Leitung von Sebastian Beckedorf. Auch wenn der Barbier von Sevilla ein oft aufgeführtes und allzu bekanntes Stück ist, kommt keine Routine auf, im Gegenteil. Beckedorf dirigiert auf den Punkt genau, und das führt das Orchester dynamisch einwandfrei und sehr schwungvoll durch den Abend.

Das Publikum hat an diesem Abend viel zu lachen und zu staunen. Mag das Schild mit „1. Akt“ am Anfang vielleicht etwas belehrend erscheinen, so löst Henryk Böhm als Erzähler diese Situation schnell und für das Publikum unterhaltsam auf. Die Transformation in eine so hervorragend gestaltete Varieté-Welt mit überraschenden schauspielerischen Einlagen, mit viel Tempo und allem voran viel Witz macht den Abend zu etwas Besonderem. Viel Applaus für alle Beteiligten.

Agnes Beckmann

Fotos: Karl-Bernd Karwasz