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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
28. April 2013
(Premiere)

Theater Bonn


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Im Treibhaus

Die Beethovenstadt Bonn im Wagnerfieber: Mit den Richard Wagner Festwochen vom 13. bis 28. April 2013 feiern Bonner Kulturinstitutionen in einer engagierten konzertierten Aktion unter maßgeblicher Federführung des städtischen Kulturamtes und mit tatkräftiger Unterstützung des lokalen Richard-Wagner-Verbandes den 200. Geburtstag des Komponisten. Ein vielgefächertes Programm mit Tanztheater, Lesemarathon, Filmnacht, Konzerten, Vorträgen und einem wissenschaftlichen Symposium gibt einen guten Einblick in sein Schaffen. Dabei geht es den Veranstaltern dezidiert nicht um bloße Idolatrie. Besonders hervorzuheben ist in dieser Hinsicht das weitgehend prominent besetzte, zweitägige internationale Symposium Wetterleuchten! Götterdämmerung!! Katharsis?, das auch die Schattenseiten der Wagnerschen Persönlichkeit und die problematischen Rezeptionslinien seines Werkes nicht unter den Tisch kehrt. So endet die Tagung mit einem fulminanten Konzert des französischen Ensemble Voix Étouffées aus Paris, das mit der Aufführung von Stücken Franz Schrekers, Victor Ullmanns, Arnold Schönbergs und Ernst Tochs, also Werken von im Nationalsozialismus verfemten Künstlern, einen notwendigen Akt der produktiven Trauerarbeit leistet. Der Dirigent und künstlerische Leiter des Ensembles, Amaury du Closel, hatte kurz vorher in seinem eindringlichen Vortrag aufgezeigt, wie eng der "Bayreuther Kreis" in seinem entsetzlichen Publikationsorgan der Bayreuther Blätter in die nationalsozialistische Kulturpolitik eingebunden ist und diese auch inhaltlich prägt.

Kulminations- und Abschlusspunkt der Festwochen ist dann die Premiere von Tristan und Isolde in der Regie von Vera Nemirova unter der musikalischen Leitung des Bonner GMD Stefan Blunier. Der Erwartungsdruck ist hoch: Nemirova gilt mittlerweile als Wagner-Spezialistin. Sie wurde im Jahr 2000 mit dem Ring Award des Wagner-Forums Graz ausgezeichnet und ihre Frankfurter Ring-Inszenierung wird nicht nur im Opernnetz hoch gelobt (Walküre, Siegfried, Götterdämmerung). Ebenso mit Spannung erwartet wird das Bonner Debüt von Dara Hobbs nach ihrem großen Erfolg als Isolde beim Wagnerfestival im Westfälischen Minden im letzten Herbst.

So ist die Enttäuschung im Publikum spürbar groß, als der mit dieser Saison scheidende Generalintendant Klaus Weise vor Beginn der Aufführung vor den Vorhang tritt und bedauernd verkündet, das Dara Hobbs aufgrund einer Pollenallergie indisponiert sei und die Isolde nicht singen, sondern nur spielen könne. Als Einspringerin habe man Sabine Hogrefe gewonnen, die Dara Hobbs von der Bühnenseite her ihre Stimme leihe. So ist die Aufführung zwar formal gerettet, da man aber nicht von vornherein mit einer Doppelbesetzung der Hauptrolle gearbeitet hat, was sich so bitter rächt, kann diese Lösung bei einer Ausnahmepartie wie der Isolde schon strukturell nicht zufriedenstellen. Sicher ist es ehrenwert, dass die Intendanz versucht, den Abend so für das ausverkaufte Haus zu retten. Mit Sabine Hogrefe hat man zudem eine ausgewiesene und erfahrene Isolde engagiert, eine glückliche Auswahl, die über jede Kritik erhaben ist. Dennoch ist es ärgerlich, dass das Publikum über die Aufspaltung der Sängerdarstellerin in eine konzertierende Sängerin und eine stumm markierende Darstellerin nicht im Vorfeld unterrichtet wird und so nicht selbst entscheiden kann, ob es sich für diese Notlösung erwärmen will oder lieber eine spätere Aufführung mit gesunder Isolde besucht.

Mit Beginn des Vorspiels, das bei geschlossenem Vorhang gegeben wird, ist sogleich klar, dass Tristan und Isolde bei Stefan Blunier und dem Beethoven Orchester Bonn in sehr guten Händen ist, ein Eindruck, der sich bis zum Ende bestätigt. Die Orchesterleistung ist durchweg überragend, was nicht selbstverständlich für ein Orchester ist, bei dem Wagner eher selten zum Tagesgeschäft gehört. Es ist eine sehr fließende und transparente Interpretation, mit einer Tendenz zur kammermusikalischen Durchhörbarkeit, die aber auch vor der großen Wucht nicht zurückschreckt, was die Sänger in hörbare Bedrängnis bringt. Blunier bedient sich einer elaborierten Tempodramaturgie, nutzt spannungssteigernde Mittel der extremen Verlangsamung bis hin zur gedehnten Generalpause. Man hört schön ausgearbeitete Details bei den Streichern, und auch die Bläser sind exzellent.

Der erste Aufzug spielt in einem Ambiente, das mit geringen Mitteln einen Schiffsbug andeutet - Bühnenbild und Kostüme stammen von Klaus W. Noack, für das Licht sorgt Max Karbe. Ein Mast, seitlich zwei aufeinanderzulaufende Wände mit zahlreichen Fenstern, abgenutzt und ramponiert. Ein Bett, ein Requisit, das alle drei Aufzüge begleitet, dominiert die Szene, umgeben von transparenten Plastikwasserflaschen. Nemirovas Inszenierung ist gekennzeichnet durch den vielfältigen Einsatz von Zeichen in sehr unterschiedlichem Entschlüsselbarkeitsgraden. Gleich zu Anfang in der Verhöhnungsszene ist es Isoldes Hochzeitskleid, das dem Seemann wie der ganzen Mannschaft zum Spielball wird, eine Chiffre für ihr Ausgeliefertsein an eine rüde Männergesellschaft, was vom Chor mit einer unangenehmen Tendenz zum Grob-Ordinären noch unterstrichen wird. Nemirova verzichtet auf die Liebestranksymbolik, eines Liebes- oder Todestranks braucht es nicht, denn in ihrer Inszenierung umarmt Isolde Tristan gleich bei der ersten Wiederbegegnung und hängt an seinen Lippen. Wasser, dargeboten aus Isoldes Hand, reicht auch ihm, um die anfängliche Distanz zu überwinden. Hobbs spielt die Isolde mit ausladender, großer, manchmal übergroßer Theatergeste. Sie ist das aktive Element, während der Tristan des Robert Gambill ein verstörter, unsicherer, eher passiver Typ ist, jemand, dem etwas mehr widerfährt, als dass er es aktiv zu gestalten vermag. Stimmlich ist Gambill an dem Abend nicht auf der Höhe seiner Kräfte, die Stimme wirkt wenig heldisch, angestrengt, etwas fahl, was schade ist, sich aber in das Rollenbild einfügt. Über der Szene schwebt eine voluminöse Theaterskulptur, die Lampen unterschiedlichen Typs in sich vereinigt, ein Bühnenrequisit, das auch in den andern Aufzügen deutlich präsent ist, aber seine Existenzberechtigung nicht verrät. Im mittleren Aufzug begegnen wir Nemirovas zentraler Inszenierungsidee. Dieser und der finale dritte Akt spielen in einem leicht lädierten Treibhaus. Nemirova entnimmt die Treibhaussymbolik dem dritten Wesendonck-Lied, das im Tristan-Umfeld als Klavierlied nach einem Text von Mathilde Wesendoncks in Wagners Züricher "Asyl" 1857/58 entstanden und als Vorstudie zu Tristan untertitelt ist. Nemirova nutzt das Treibhaus als isolierten Ort jedoch nicht für eine konzentrierte und heiße Liebesszene. Es ist vielmehr eine Schreibwerkstatt, in der erst Isolde allein, dann beide Liebende Blätter, Treibhauswände und schließlich sich selbst mit Textfragmenten des zweiten Aufzuges beschriften. Partiell wird das Geschriebene gleich vorgetragen, eine Reminiszenz an die Zürcher Entstehungssitutation des Werkes und auch an die rege briefliche Kommunikationsform Wagners und Mathildes. Andere Zettel werden an einen mittelgroßen, abgestorbenen Baum geheftet. Die Tattoos, Einschreibungen am eigenen und am Körper des andern, sind Chiffren für die Ewigkeitsbehauptung ihrer Liebe. An die Grenze zur Komik gerät dann der Identitätswechsel – "Tristan Du, ich Isolde, nicht mehr Tristan!/Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde!"- als Kleidertausch. Die "Entdeckung" bleibt merkwürdig spannungsarm und konfliktlos, König Marke findet sich schließlich gestützt zwischen Tristan und Isolde auf dem Bett wieder. Tristans Selbstverletzung per Schwert wirkt dann eigentlich unmotiviert.

Am geschlossensten inszeniert wirkt der dritte Akt. Voller Pflanzen hat das Treibhaus seine eigentliche Bestimmung gefunden. Sorgfältig umsorgt Kurwenal die Pflanzenwelt und natürlich auch seinen kranken Herrn, dem er, nachdem dieser in seinem Bett aus der Umnachtung erwacht, einzelne Gewächse vorführt, um dem Erinnerungsvermögen wieder auf die Sprünge zu helfen. Das gelingt kaum - Tristan ist für diese Welt nicht mehr zu gewinnen, er wirkt desorientiert, fast geistesgestört, bewegt sich in hilflosen Trippelschritten. Es scheint, als befinde er sich bereits woanders, ohne eigentliches Wahrnehmungsvermögen für seine Umgebung, woran auch das Auftauchen Isoldes nichts mehr ändern kann. Mark Morouse, ein auch sängerisch intensiver und überzeugender Kurwenal, vermag es, eine glaubhafte Binnenbeziehung zu Tristan zu zeichnen, das Verhältnis erscheint inniger, als das zwischen Isolde und Tristan. Analog zum zweiten Aufzug ist auch der Konflikt nach der Ankunft Markes spannungslos, ein showdown, bei dem die Getöteten nach einer Schießerei am Leben bleiben und munter die Szene verlassen, um Platz zu machen für Isoldes finalen großen Auftritt.

Sabine Hogrefe bewältigt die nicht leichte Situation des stimmlichen Doubles souverän, Koordination und Synchronisation gelingen. Ihre Isolde aus dem szenischen off ist das vokale Ereignis des Abends. Sie ist eine klug disponierende Sängerin, die ausreichende Kraftreserven für die Mammutpartie besitzt. Sie ist keine Sängerin der vokalen Exzesse, sondern eine nuancierte Gestalterin mit warmem Timbre. Das übrige Ensemble ist durchweg auf gutem Niveau solide besetzt: Daniela Denschlag als Brangäne, Martin Tzonev als König Marke, Giorgos Kanaris als Melot, Sven Bakin als Steuermann und Johannes Mertes als Hirt/junger Seemann.

Das Premierenpublikum nimmt's gelassen: Großer Jubel für Stefan Blunier und das Bonner Beethovenorchester, die Solisten, einige verhaltene Buhs für Nemirovas Inszenierung.

Dirk Ufermann







Fotos: Thilo Beu