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Fakten zur Aufführung 

DER TRAUM EIN LEBEN
(Walter Braunfels)
30. März 2014
(Premiere)

Theater Bonn


Points of Honor                      

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Gute Zeiten, schlechte Zeiten in Samarkand

Der Traum ist einer der Stoffe, dem das Theater seine schönsten Hervorbringungen verdankt. Mindestens seit William Shakespeares Sommernachtstraum am Ende des 16. Jahrhunderts und Pedro Calderón de la Barcas Das Leben ein Traum aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Verwiesen sei für die Zeit vor Benjamin Brittens Shakespeare-Vertonung in der Neuzeit exemplarisch auf Mozarts frühes Werk Il sogno di Scipione und Die Traumgörge des österreichischen Komponisten Alexander Zemlinsky. Muss doch die traumatisch oder therapeutisch funktionierende Trennung von Welt und Ich, die Entrücktheit des Individuums von Sein und Identität den Künstler einfach reizen, den Autoren, den Komponisten, den Librettisten. Nicht ganz so einfach dürfte das historische und künstlerische Raster sein, das Walter Braunfels und seinem dramatischen Märchen nach Franz Grillparzer Der Traum ein Leben unterlegt ist. Unstreitig ist indes das Verdienst des Theaters Bonn, mit der zweiten szenischen Realisierung des Stückes überhaupt die Vorlage für eine Auseinandersetzung und eine neuerliche Aneignung geliefert zu haben. So liegt bis heute kein ediertes Notenmaterial vor, agieren die Protagonisten nach dem im Programmheft dokumentierten Original-Typoskript, das zahlreiche Handkorrekturen des Komponisten enthält. 1950 bringt der Hessische Rundfunk in Frankfurt die Oper auf Initiative des Dirigenten Kurt Schröder konzertant zur Uraufführung/Ursendung. 2001 folgt die erste und vorläufig einzige szenische Aufführung durch das Theater in Regensburg. Eine wahrlich überschaubare Rezeptionsgeschichte.

Braunfels, Komponist zahlreicher Opern und von Werken für Orchester und für Chor, geschätzt von den Dirigenten Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler, Otto Klemperer, ist seit 1925 als Gründungsdirektor der Kölner Musikhochschule tätig. Er wird von den Nationalsozialisten am 2. März 1933 – kaum fünf Wochen nach deren sogenannter Machtergreifung – als „Halbjude“ aus seinem Kölner Amt entfernt. Er wählt die innere Emigration, verkauft sein Haus in der Domstadt und zieht in das damals eigenständige Bad Godesberg. Bis 1937 schreibt er hier die Oper Verkündigung und eben Der Traum ein Leben nach Grillparzers Märchenspiel, das wiederum auf einer Erzählung von Voltaire beruht. Kurz gefasst, ist es die Geschichte vom jugendlichen Rustan, den es nach einem Leben voller Abenteuer und heroischen Taten dürstet. Zu seinem Umfeld gehören Mirza, die von ihm begehrte Tochter eines reichen Landmannes, und der Sklave Zanga. Dieser treibt ihn zu allerlei rüden Taten, die in der Befreiung des Fürsten von Samarkand aus höchster Gefahr gipfeln. Als Dank verspricht dieser ihm seine Tochter Gülnare als Gattin sowie sein Königreich. Angestachelt von den Rankünen Zangas, wandelt sich Rustan zum Verbrecher. Auf dem Höhepunkt des Weges in das Verderben beschließt er reumütig die Rückkehr in sein altes Leben. Er wird gewahr, dass alles nur ein Traum gewesen ist.

Rustan gewinnt neue Lebenszuversicht und Mirza endgültig als Frau, natürlich für immer, wie das im Märchen halt so ist. Die Frage, warum sich Braunfels auf die Märchenwelt und darin ausgerechnet auf die Schrecknisse eines doch recht groben Heranwachsenden bei dessen Flucht aus der Misere eingelassen hat, lässt etliche Spekulationen zu. Ein Ausweg aus dem aufgezwungenen Exil der Stille, eben auch eine Flucht? Oder die märchenhaft verkappte Warnung vor drohender Tyrannei durch das NS-Regime? Vor Unterdrückung der Kunst und der Menschlichkeit? Der Bonner Operndirektor Andreas K.W. Meyer gibt einer solchen Sichtweise durchaus Raum. Der Traum ein Leben lasse sich tendenziell als ein „Stück des zumindest moralischen Widerstands“ verstehen.

In der Inszenierung Jürgen R. Webers bleibt diese Komponente der verdeckten wie weitsichtigen Botschaft eines „Verfemten“ ausgespart. Der Regisseur ist ein Grenzgänger und, wie sein Outfit mit Schottenrock beim Schlussbeifall belegt, überzeugter Exzentriker. Für einige Musiktheater wie Chemnitz und Würzburg hat der Schüler Götz Friedrichs in den letzten Jahren Stücke jenseits des Mainstream realisiert, dem unterhaltungsaffinen TV-Publikum etwa die Telenovela Verliebt in Berlin geschenkt und einige Folgen von Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Die Professionalisierung im TV-Studio unter dem Druck von Quote und Produzenten scheint sich auch in seiner Bonner Arbeit zu manifestieren. Im Bühnenbild Hank Irwin Kittels, einem opulenten Gehäuse voller Märchenfiguren aus den Zauberflöten- und Ring-des-Nibelungen-Locations dieser Erde, und den von Kristopher Kempf geschaffenen Phantasiekostümen entfaltet sich das das eigentlich ernsthafte, streckenweise brutale Spiel von Braunfels um Macht, Ruchlosigkeit und den Preis des Ruhms weitgehend als komödiantische Groteske.

Wonnige Turbulenzen an der Schnittstelle von Oper und Operette, ergänzt und überhöht durch allerlei Videoprojektionen und stilbrechende Zitate, so eine Barockuhr in schimmerndem Marmor mit lebenden Putten links und rechts des Zifferblatts, also Statisten des Bonner Theaters, deren Disziplin über lange Zeitstrecken man nur bewundern kann. Dem Publikum garantiert dieses Inszenierungskonzept allerlei Kurzweil. Der König der Märchenwelt erfährt Rettung aus dem Schlund eines Feuer speienden Drachens – eine Anspielung womöglich auf die Begegnung Fasolts mit Siegfried im Siegfried. Ständig werden die Personen zu Samarkand auf Podesten und in Sänften getragen oder bewegen sich gar – wie Rustan auf seinem Bett – in luftiger Höhe. Luftballons halten Haupthaar und Diademe der Damen in der Schwebe. Manch kriegerischer Beteiligter der diversen Scharmützel erinnert in der Maskerade an die Jedi-Ritter. Die Verschmelzung der Formate von Bühne und TV-Studio mag bei bestimmten Buffo-Opern ihren uneingeschränkten Reiz haben. In Bonn liegt sie quer zum Stück. Ist es doch die kulturpolitische Intention dieser Neuentdeckung, einem unter dem grausigen Verdikt der „entarteten Musik“ seiner Öffentlichkeit beraubten Komponisten eine gewisse Anerkennung und unseren Respekt angedeihen zu lassen, soweit das überhaupt möglich ist.

Steht Braunfels so gesehen in einer Reihe mit Ernst Krenek, Arnold Schönberg, Kurt Weill, Hanns Eisler, Franz Schreker, Erwin Schulhoff und Ernst Toch, verhält sich das hinsichtlich seiner Musik gänzlich anders. Mit dem Komponisten Braunfels verfolgten die NS-Funktionäre – Ironie der Geschichte – gerade nicht einen Anhänger der Moderne oder gar einen Avantgardisten, sondern vielmehr einen späten Neu-Romantiker mit viel Wagner und Strauss in Empfindung, Präferenz und Werk. Das Beethoven-Orchester Bonn unter der äußerst intensiven musikalischen Leitung Will Humburgs findet zu dieser neo-traditionellen Musiksprache einen einfühlsamen und durchgängig aufgeschlossenen Zugang. Wunderbar zurückgenommen, etwa im Einsatz der Bläser gleich zu Beginn, überberstend und fast im Rausch in den exzessiven Momenten von Zerstörung oder Verschmelzung. Der von Volkmar Olbrich einstudierte Chor des Theater Bonn ist in Gesang und Spiel ein ebenbürtiger Partner.

Die speziell in diversen Wagner-Partien auf höchstem Level geschulten wie erfahrenen Endrik Wottrich als Rustan und Manuela Uhl in der Doppelrolle der Mirza und der Gülnare, der Königstochter im Märchen, meistern die wahrlich strapaziösen Ansprüche ihrer Gesangsrollen mit Vehemenz. Dabei muss die gelegentliche Brüchigkeit von Wottrichs Tenor in Höhe und Mittellage an diesem Abend nicht sonderlich ins Gewicht fallen, auch wenn das Premierenpublikum das mit gedämpftem Beifall zu quittieren weiß. Zumal der Sopran der Uhl einmal mehr die Strahlkraft erreicht, wie sie – pars pro toto – aus ihrer Gestaltung der Partie der Irene in Wagners Rienzi an der Deutschen Oper Berlin noch in guter Erinnerung ist. Umjubelt in Amsterdam und Wien, Leipzig und Düsseldorf, jetzt auch in Bonn. Wie kürzlich in der Aida bewährte sich Mark Morouse als Mohr Zanga mit machtvollem Bariton bravourös. Rolf Broman in der Rolle des Massud und insbesondere Anjara I. Bartz als die Alte erledigen ihren Part überzeugend.

Gleichsam an der Schnittstelle Wagner/Braunfels und die Überraschung des Abends ist Graham Clark als der alte Kaleb. Der Tenor berührt das Auditorium immer noch mit seiner Mimik und Ausstrahlung. Das Rollenprofil weist ihn zwar als „stummen Greis“ aus. Doch sind auch in seinen Schreien das unverkennbare Timbre und die immer noch beeindruckende Kraft der Stimme präsent. Ein besonderes Kompliment für diese großzügige Besetzung.

Generös, alles in allem, ist dann auch das Publikum am Ende in seinen Beifallszuwendungen an die Akteure, von Nuancen abgesehen. Überwiegend stark den musikalischen Akteuren, etwas distanzierter dem Regieteam gegenüber. Ob mit der zweiten szenischen Realisierung des Stoffes so etwas wie eine kleine Renaissance für Der Traum ein Leben, gar für die übrigen Opern von Braunfels eingeleitet wird, bleibt vorerst offen. Da müssten dann noch weitere Initiativen entwickelt werden und mehr Bühnen mitziehen. Eine edierte Ausgabe des Opernmärchens von Samarkand wäre zumindest schon ein guter Anfang.

Ralf Siepmann





Fotos: Barbara Aumüller