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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
3. November 2013
(Premiere)

Theater Bonn


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Optik vor Logik

Ende des 19. Jahrhunderts ist es in Italien „en vogue“, Opern zu komponieren, die dem Gedankengut des Verismus verpflichtet sind. Verismo, vom italienischen Wort „vero“ abgeleitet, bedeutet im deutschen „wahr“. So erheben die Libretti, die diesen Opern zugrunde liegen, einen Anspruch auf Realismus und sozialkritische Inhalte, während die Leidenschaften der Protagonisten möglichst detailgetreu ausgemalt werden. Das schlägt sich natürlich auch in einer überschäumenden Orchestrierung nieder. Veristische Opern liefern aber nicht nur fassettenreiche Charakterstudien der Handlungsträger, sondern präsentieren Grausamkeit und körperliche Gewalt ganz ungeschminkt.

Diese Anknüpfung an reale Assoziationen existiert auch in Puccinis Oper Tosca: Ursprünglich ist die Geschichte in der Herrschaftsperiode Napoleon Bonapartes in Rom zugeordnet. Im damaligen Zentrum sowohl der geistigen, wie auch der weltlichen Macht platziert Puccini seine Anklage gegen Kirche und Staat: Die naive Operndiva Floria Tosca und ihr Geliebter Cavaradossi werden in ein politisches Machtgerangel verstrickt, weil sie einen politischen Flüchtling decken. Den unmenschlichen Machtansprüchen fällt diese idealistische Liebe zum Opfer.

In Bonn hat Philipp Kochheim die aktuelle Inszenierung in das Italien der 1970-er Jahre verlegt. Die mafiösen Strukturen lassen die Machtgrenzen von Kirche, Staat und Gangstermilieu verschwimmen. Die dazu passende Bühne von Thomas Gruber vereint die alten und neuen Elemente: Große Bühnenwände deuten die steinernen Mauern der Kirche Sant‘Andrea an. Direkt daran anschließend wird ein italienisches Bistro mit mehreren Tischen und Stühlen verortet. Die Handlung des ersten Akts spielt in einer Kirche, Tosca ziert sich vor den Küssen ihres Geliebten in diesem Umfeld. Doch dem Zuschauer erschließen sich Optik und Logik dieser Momente nicht. Der Palazzo Farnese wird zum schick-mondänen Mafia-Büro mit Jalousien vor den Fenstern, hellen Ledergarnituren, Stühlen, einer Hausbar und einem Radioapparat mit Kabel – alles, wie es in den 1970-er Jahren in Mode war. Der letzte Akt ist ein düsterer, militärisch anmutender Hinterhof, der an James-Bond-Verfilmungen der 1970-er und 1980-er erinnert. Das Lichtdesign von Thomas Roscher führt das stimmig fort. Alle Darsteller bewegen sich in mehr oder minder dazu korrespondierenden Kostümen von Gabriele Jaenecke. Der Chor ist zwar stilgetreu eingekleidet, doch einige Röcke, Strümpfe und Hosenbeine sind zu kurz, Sakkos sitzen schlecht. Ob wirkliche jeder im Italien der 1970-er Jahre so schräg gekleidet war, bleibt anzuzweifeln. Die vielen als Nonnen und Messdiener eingekleideten Frauen und Kinder sind hingegen zeitlos und bringen Ruhe in die Massenbilder.

Besonders authentisch wirkt Evez Abdulla als Baron Scarpia, der in dieser Inszenierung den Mafiaboss gibt. Mit gut sitzenden Anzügen, Lederhandschuhen, Goldkettchen, Trenchcoat und dem obligatorischen Revolver bewaffnet, könnte er direkt zum nächsten Mafia-Filmset durchmarschieren. Abdulla kostet die Rolle des sich an Gewalt aufgeilenden Bösewichts sowohl stimmlich als auch darstellerisch vollends aus. Rolf Broman als Angelotti und Priit Volmer als Mesner kommen dagegen stimmlich etwas blass herüber und werden vom Beethoven-Orchester Bonn unter der Leitung von Hendrik Vestmann bei aller Einfühlsamkeit übertönt.

Ein wahrer Moment des Gänsehaut-Gefühls stellt sich jedoch ein, wenn das Beethoven-Orchester zum Ende des ersten Akts zusammen mit dem Chor und dem Kinderchor des Theater Bonn zum gemeinsamen Finale anhebt: Die stimmliche und musikalische Schallwelle durchströmt das Auditorium. Die Choreinstudierung von Volkmar Olbrich sowie die Einstudierung des Kinderchores von Ekaterina Klewitz sind grundsolide und überzeugen. Auf der Bühne befindet sich Ende des ersten Akts ein verunfallter Wagen. Flatterband dient zur Absperrung, die Statisterie formt EB-Teams, Tonangeln schweben über der Menge. Rauch liegt in der Luft, eine Leiche wird in einer Metallwanne vorgeführt, die Emotionen kochen hoch. Scarpia, der die Macht über alles zu haben scheint, steht – im feinen Zwirn – im Vordergrund und lässt sich von der Situation nicht beeindrucken. Der ratlose Zuschauer wird erst nach aufmerksamer Programmheftlektüre entschlüsseln können, dass es sich hierbei um eine Anspielung auf das reale Bombenattentat von 1983 handelte, dem der Mafiaankläger Rocco Chinnici zum Opfer fiel. Aktuelle Verismo-Elemente in die Inszenierung einfließen zu lassen, ist konsequent. Davon auszugehen, dass das Publikum sich noch gut an das reale Ereignis zurück erinnern kann, ist anmaßend.

Doch bei aller detailgetreuen Anbindung an das Mafia-Milieu: Die emotional packendste Partie ist die der Floria Tosca, gesungen von der jungen Sopranistin Yannick-Muriel Noah. Vom ersten Moment an, da sie die Bühne betritt, schafft sie es, den Zuschauer in ihre emotionale Zerrissenheit mit hinein zu ziehen. Sie verkörpert eindrücklich die moderne, selbstbestimmte und verantwortungsbewusste Diva. Schnell könnte man darüber vergessen, wie außergewöhnlich und emanzipiert diese Rolle einer Frau von Puccini um 1900 angelegt wurde. Schließlich passt eine solch starke Frau viel besser in die 1970-er Jahre, als in das ursprüngliche Handlungsjahr 1800. Noah kann mit ihrem warmen Sopran wirklich verzaubern. Ihr Geliebter Cavaradossi, gesungen von Christian Juslin, benötigt etwas mehr Anlauf, um sein volles stimmliches Volumen zu Gehör zu bringen. Doch spätestens im letzten Akt haben beide Darsteller die Zuschauer in ihren Bann gezogen und das vollbesetzte Opernhaus schenkt laute bravi-Rufe zum Abschluss.

Jasmina Schebesta





Fotos: Thilo Beu