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Fakten zur Aufführung 

SCHWANENSEE
(Peter Iljitsch Tschaikowsky)
14. Dezember 2013
(Gastspiel)

Theater Bonn


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Dauerbrenner vor Weihnachten

In der Tanzwissenschaft befasst man sich seit einiger Zeit mit dem Archivgedanken. Sowohl der Körper des Tänzers wird hier als Wissensspeicher analysiert, als auch der Erhalt, die Archivierung, bedeutender Ballette. Aber auch die Frage, wie man ein zeitgenössisches Repertoire aufbaut, ergänzt, am Leben hält – wie derzeit beim Tanztheater Wuppertal. Gerade die freie Tanzszene kränkelt hier: Ausgeklügelte, hart erarbeitete Tanzabende steigen aus kleinen Produktionsstätten auf wie Seifenblasen und lösen sich nach kurzer Lebensdauer im Nichts auf.

Ganz anders die russische Balletttradition: Hier hat man sich seit der Entstehung der großen Ballette darum bemüht, sie gar nicht erst in Vergessenheit geraten zu lassen, indem sie seit Entstehung konsequent im Repertoire der großen klassischen Kompanien blieben. Zugegeben: Tanznotationen sind nicht ganz so zuverlässig wie ein Videomitschnitt. Doch ist zum Beispiel die Anzahl der Versionen und Abwandlungen des Schwanensees überschaubar. In jeder Version bleibt gewiss, dass das Ballett ein Publikumsrenner ist. Für Ballettratten, Ballettomanen, Träumer und Tanzbegeisterte ist der Schwanensee ein Muss, quasi der Archetyp eines klassischen Handlungsballetts.

Da ist es allzu nachvollziehbar, dass das Tanzgastspiel des Russischen Nationalballetts in der Bonner Oper an drei aufeinander folgenden Tagen ausverkauft ist. Gerade zur besinnlichen Weihnachtszeit ist die russische Balletttradition ein Exportschlager.

Das 1877 in Moskau uraufgeführte Ballett Schwanensee gehört zu einer ganzen Reihe von Stücken, die das Russische Nationalballett im Repertoire hat, und der Tourplan der Truppe ist voll.

Eines gleich vorab: Die Liebe siegt. Die Schwanenprinzessin und Prinz Sigfried besiegen den bösen Zauberer, der Bann ist aufgehoben und alle sind glücklich. In anderen Versionen ertrinken die Protagonisten.

Besonders und schön an diesem Gastspiel ist auch, dass das Symphonieorchester des Russischen Nationalballetts mit auf Tournee ist, und somit echte Musiker den Orchestergraben mit Leben füllen. Das Orchester unter der Musikalischen Leitung von Osetrow Aleksej ist in kleiner Besetzung angereist, ist dafür aber umso präsenter.

Die Bonner Schwanensee-Version des Russischen Nationalballetts nennt im Programmheft als Choreographen Marius Petipa, Lew Iwanow und Juri Grigorowitsch. Das Libretto stammt von Vladimir Begichev und Vasily Geltser. Womit nicht klar ist, was der Zuschauer da wirklich zu sehen bekommt. Das ist einfach unsaubere Arbeit der Presseabteilung. Und dieser erste Eindruck der fehlenden Präzision zieht sich durch den Abend.

Das Bühnenbild besteht aus verschiedenen bemalten Vorhängen, die, in Kombination mit knallig-buntem Licht, manchmal Ostblock-Charme aufkommen lassen. Im ersten Akt zeigen sie einen kitschigen Säulengang samt Statuen; im zweiten Akt blickt man auf das Meer, aus dem auf Felsen eine Burg emporsteigt. Der dritte Akt zeigt wieder eine Art Prunksaal. Dieses Bühnenbild wird dem langen Tourneeplan geschuldet sein. So passt es praktisch zusammengelegt in einige Koffer und Kisten.

Der Lichtwechsel ist teilweise zu stark. Es wird viel mit klaren Farben gearbeitet. Dadurch stehen die Tänzer nie im Dunkeln, aber teilweise wird das ganze Geschehen in poppige Farben getaucht, weil man versucht, all die bunten Farben der Kostüme aufzunehmen. Das wirkt besonders dann irritierend, wenn beim Auftritt des bösen Zauberers, getanzt von Vadim Lolenko, rotes Licht stroboskopartig eingesetzt wird.

Die Strumpfhose des Hofnarren, Aleksandr Pokotilov, ist an einem Bein schwarz, am anderen rot und will im ersten Akt so gar nicht ins Bühnenbild passen. Doch die herausstechende Kostümierung ist vielleicht gewollt: Mit hohen Sprüngen, schnellen Drehungen, kraftvollen Schritten durchmisst er die Bonner Opernbühne und wendet sich wie eine Art Spielführer immer wieder direkt an das Publikum. Wiederholt fordert er das Publikum auf, Szenenapplaus zu spenden. Das macht nur zögerlich mit und wird im Laufe des Abends auch nicht mehr munterer. Die teilweise sehr guten Soli, Duette, Trios und Gruppensequenzen sind so arrangiert, dass die Tänzer Zeit bekommen, an die Rampe zu treten und Applaus entgegenzunehmen. Nur schade, wenn der Applaus schon wieder abebbt oder ausbleibt, wenn die Tänzer sich noch in großer Pose verneigen. Auch das beeindruckend getanzte Schwarzer-Schwan-Pas-de-Deux, hier im zweiten Akt, wird wenig goutiert. Das Solistenpaar des Abends hebt sich klar vom Corps ab: Sergej Skvortsov als Prinz Siegfried schwelgt im lyrischen Duktus seiner Rolle, und Irina Khandazhevskaja gleitet zart, langgliedrig und mit präziser Technik durch die Choreographie. Sie schafft den Wechsel von der lyrischen Odette zur kapriziösen Odile und zeigt als eine der wenigen an diesem Abend, welch gut ausgebildete klassische Tänzerinnen die russische Schule hervorbringt.

Das Pas de Trois im ersten Akt mit dem Prinzen tanzen Liudmila Titova und Olga Doronina. Sie zeigen ebenfalls saubere Technik und sind mehrfach besetzt. An diesem Abend sind sie auch Schwäne und heiratswillige Nationalvertreterinnen in Personalunion.

Was an diesem Abend nicht so ganz überzeugt, sind sie Leistungen des Corps de Ballet. Im Programmheft werden Zitate gestreut, die Präzision, Synchronizität und Leichtigkeit der Kompanie lobpreisen. Leider sind das keine belastbaren Attribute dieses Abends: Da platschen auch mal Füße durch die Gegend, Arme werden so ruckartig in die Luft gerissen, dass man an militärischen Drill denkt, aber nicht an kapriziöse Schwäne. Die Körperspannung im Gruppenbild ist uneinheitlich.

Im Großen und Ganzen bekommt das Bonner Publikum, was es erwartet. Ein kleines Mädchen im Zuschauerraum trägt ein Tutu und trippelt zum Schlussapplaus an den Orchestergraben, um der Ballerina im Tutu ganz nahe sein zu können. In NRW ist die russische Balletttradition ein gern gesehener Gast, die Unschärfen im Dargebotenen fallen nicht so schwer ins Gewicht, wie der Hunger der Zuschauer nach den klassischen Meisterwerken des Balletts. Dem russischen Exportschlager sei Dank, dass man nicht komplett vergisst, welche große Kunst das klassische Ballett einst hervorgebracht hat.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Russisches Nationalballett