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Fakten zur Aufführung 

PARAÍSO PERDIDO/LA VALSE/
COISAS QUE AJUDAM VIVER

(Balé da Cidade de São Paulo)
8. November 2011

Oper Bonn


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Das Tempo der Fantasie

Verlorenes Paradies, Walzer und Dinge, die zu leben helfen, sind die Themen, die eine einzigartige Company beschäftigen. Das Balé da Cidade de São Paulo – profan in der deutschen Übersetzung: Das Ballett der Stadt São Paulo – unter der künstlerischen Leitung von Lara Pinheiro tritt zum zweiten Mal in Bonn auf – und begeistert das Publikum.

In der deutschen Erstaufführung nimmt das Verlorene Paradies Bezug auf die Gemälde von Hieronymus Bosch. Bei den Szenen und Situationen lässt sich Choreograph Andonis Foniadakis von Details aus Boschs Arbeit inspirieren. Ziel der Tänzerinnen und Tänzer ist, „inneres Gefühl und äußere Geste organisch zu verbinden“. Zur Musik von Julien Tarride verkörpern sie die Ängste, Freuden, Götter und Dämonen des Menschen und schicken ihn so auf eine Reise, „auf der die Schönheit Hässlichkeit sucht und die Wirklichkeit Teil des Unwirklichen wird“. Das geschieht mit atemberaubender Geschwindigkeit, die auch schon mal mangelnde Präzision in Kauf nimmt. Die Kostüme von João Pimenta, die auf das Notwendigste reduziert sind, so dass auch die Brüste der Tänzerinnen unbedeckt bleiben, unterstreichen den surrealen Eindruck. Und das soll wohl auch das Licht von Guilherme Bonfanti bewirken. Das Halbdunkel, in das er die nur von Menschen bevölkerte Bühne taucht, ist aber ein wenig zu unterschwellig geraten, so dass es schwerfällt, den letztlich nur noch als Gewusel wahrgenommenen Bewegungen auf der Bühne zu folgen. Zurück bleibt ein Kaleidoskop surrealer Eindrücke – und das liegt ja nicht allzu fern von Foniadakis Vorstellungen.

Bevölkern im Verlorenen Paradies rund 30 Tänzerinnen und Tänzer die Bühne, reduziert Choreograph Luiz Arrieta im Walzer zur Musik von Maurice Ravel sein Personal auf vier Paare. Was die auf den Takt genau tanzen, ist ein Konglomerat aus Walzer, Tango, modernem Tanz, klassischem Ballett und der Andeutung von Humor. Anmutige bis elegante Tanzakrobatik, die häufig eine Figur nicht zu Ende bringt, sondern überraschend in die nächste überführt. So entsteht Spannung, die durch weitgehende Reduktion weiter erhöht wird. Es gibt keine Formation, vielmehr löst ein Paar das andere mit synchron übernommenen Tanzschritten ab. Nach nur zwölf Minuten muss der Zuschauer sich von dem Traum wieder verabschieden und wird in die nächste Pause entlassen. Das ist für den deutschen Zuschauer ungewohnt und sorgt für allerlei Heiterkeit.

Diese Heiterkeit findet sich auch in Dinge, die zu leben helfen, und die nunmehr von einer 24-köpfigen Company präsentiert werden. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zeichnet Regisseurin und Choreographin Susana Yamauchi einen Lebensweg in kurzen Blenden nach, lässt sich vom Alltäglichen, Banalen inspirieren, um zu erkunden, was Tiefgang gibt, was schöpferisch macht. Eine Tänzerin wird geboren, entwickelt sich zum Vierbeiner, der sich zögerlich und nur mit Hilfe zum Zweibeiner emporstreckt, ehe er und seine Artgenossen alltägliche Lebenssituationen, aber auch die großen Momente eines Lebens nachvollziehen, um sich schließlich wieder stufenweise zu reduzieren. So verbindet Yamauchi das Leben ansich, das Große und Ganze, Werden und Vergehen, mit dem Individualleben. Die Tänzer lassen sich dabei auf die wechselnde Dramatik der Musik von Ed Cortes ein, ersticken in Belanglosigkeiten, erstarren in Pausen und verzweifeln am großen Gefühl. Im immer noch nicht allzu glänzenden Licht von Sergio Funari bleibt auch hier die Bühne weitestgehend leer, wenn auch kleinere Requisiten vom Bühnenbildner Cássio Amarante zugelassen werden. Simone Mina ordnet die Kostüme der Praktikabilität des Tanzes unter und überlässt die Erotik der Bewegung. Leider sieht Yamauchi in zahlreichen Doppelszenen die Möglichkeit, „widersprüchliche Details aufzudecken, eine ungenaue Bewegung zu verraten, einen kurzzeitigen Kontrollverlust, einen Fehler“. Beim Zuschauer entsteht dabei weniger die Angst des Kontrollverlustes als vielmehr die leise Enttäuschung, dass ihm hier so manches entgeht, was den Besuch einer zweiten und dritten Aufführung erforderlich machte.

Letztlich fasziniert aber der Gesamteindruck und begeistert zutiefst das Publikum, das mit frenetischem Beifall seine Dankbarkeit für eine großartige Aufführung zum Ausdruck bringt. Nicht enden will das. Blumen, die den Tänzern überreicht werden, schenken diese in das Publikum, bedanken sich schließlich mit Applaus beim Publikum, und dass es bei den Tänzerinnen gar Freudentränen gibt, zeigt, mit welcher Intensität sich das Balé da Cidade de São Paulo um die Gunst des Publikums müht. Da wird es dann wieder sehr brasilianisch, und das ist schön.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Theater Bonn