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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
28. Oktober 2012
(Premiere)

Oper Bonn


Points of Honor                      

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Nach der Premiere


Provokation, Weitsicht oder Dilettantismus? Das Urteil des tradierten Publikums ist schnell gefällt. Aber dieses Publikum war mit seinen Urteilen ja schon immer recht schnell zur Hand (4'37).


 

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Falscher Titel

Das Haus ist ausverkauft und voll besetzt mit Menschen, die eine mehr oder minder reguläre Norma von Bellini erwarten. So nämlich verkünden es Plakate und Programmhefte. Der Titel führt in die Irre. Noch ehe der Vorhang sich hebt, tritt der „Intendant“ auf die Bühne, um einen Vortrag über die verfehlte Sparpolitik zu halten und andererseits auf die Verpflichtung der Häuser hinzuweisen, mit wahrer Kunst dagegen zu halten. Er selbst werde am heutigen Abend alles präsentieren, was eine gute Oper haben müsse. Spätestens jetzt wird klar, dass es sich bei diesem Abend ganz und gar nicht um eine Norma handeln wird, wie der Bellini-Liebhaber sie kennt. Es beginnt ein Spiel auf verschiedenen Ebenen, reichlich bizarr und mit Szenen aus Norma gespickt. Moderations- und Spielebene werden mehr und mehr miteinander verwoben, bis am Ende alle verlieren. Dem „Intendanten“ gelingt es weder, eine ordentliche Oper auf die Beine zu stellen, noch eine neue Primadonna für sein Haus zu gewinnen oder sie gar ins Bett oder wenigstens auf die Couch zu bekommen. Das Ende von Norma ist bekannt.

Junge Regisseure wie Florian Lutz werden beauftragt, weil man sich von ihnen neue, frische Sichtweisen erhofft. Dass die Vorankündigung täuscht, haben selbst nach der Pause große Teile des Publikums noch nicht verstanden und quittieren jeden Auftritt des „Intendanten“ mit lautstarken Unmutsbekundungen. Das Gelärme beeinträchtigt den Spaß, unterbleibt aber zumindest, wenn Szenen aus Norma gespielt werden. Ausgehend von einer leeren Bühne gibt es auf der mittigen Drehscheibe nach und nach einen Wald mit Giraffe und Wildschwein, ein Klavier, auf dem mächtig herumgetobt wird, und eine Künstlergarderobe mit Kochnische. In der rechten vorderen Bühnenecke hat Martin Kukulies noch eine Besetzungscouch in Gestalt eines Diwans untergebracht. Mechthild Feuerstein hat Kostüme geschaffen, die einerseits der Historie so nahe wie möglich kommen sollen und andererseits den Ebenenwechsel mit moderner Bekleidung unterstreichen sollen. Wer die Systematik des Bühnenspiels begriffen hat, versteht denn auch recht gut, wozu Kostüm- und Perückenwechsel auf der Bühne gut sind. Auch das Licht von Bernd Winterscheid soll die verschiedenen Bedeutungsebenen kenntlich machen, schafft aber nicht ganz die erwünschte Deutlichkeit.

Vollmundig verspricht „Intendant“ Roland Silbernagl, die Oper opulent zu gestalten und damit sein Haus wieder in die vorderste Reihe zu bringen. Das versucht er mit markigem und machohaftem Auftritt. Beherzt und tapfer hält er sich gegen alle Buh-Rufe, Drohungen und Besucher, die den Saal verlassen. Eine starke Leistung, die eigentlich erst nach der Aufführung so recht gewürdigt wird. Von den Leistungen der SängerdarstellerInnen allerdings ist das Publikum überzeugt. Auch wenn Miriam Clark als Norma weniger durch Bewegungsfreude als durch ausgedehnte Koloraturen auffällt. Mit ihrem schönen Sopran wäre das gar nicht nötig, aber Robin Engelen trägt das als Musikalischer Leiter mit. Schön wird es, wenn Nadja Stefanoff als Adalgisa mit ebenbürtiger Stimme in das Duett einstimmt. Stefanoff zeigt mit erheblich größerer Spielfreude denn auch eine Bikini- und eine anschließende Sexszene, beides allerdings eher gewollt denn gekonnt. In der Stimmführung disziplinierter, erfreut sie auch in der Höhe mit Verständlichkeit. Pollione, zwischen Norma und Adalgisa hin- und hergerissen, wird von George Oniani mit großer Lässigkeit gespielt. Ein exzellenter Tenor in allen Lagen, der keine Wünsche offen lässt. Daniela Denschlag singt ihre kurzen Auftritte makellos, geht aber in ihrem unscheinbaren Kleid unberechtigt unter, vielleicht gerade weil sie mit so großer Natürlichkeit spielt. Unglaublich diszipliniert spielen die Kinder Friederike und Constantin Firmbach. Selbst als sie das Klavier als Boot hin- und herschieben und die Requisiten im Hintergrund verrücken müssen, geht das wie am Schnürchen. Extra-Kompliment vor allem für die letzte Szene!

Lutz bewegt große Menschenmengen recht gekonnt über die Bühne. Allein Chor und Extrachor wollen auf selbst gewähltem, engem Raum platziert sein. Und das gelingt erstaunlich gut. Wobei die Chöre in der Einstudierung von Sibylle Wagner auch musikalisch eine erstklassige Leistung abliefern. In der Raumaufteilung liegt eine der Stärken des jungen Regisseurs. So bringt er eine Bläsergruppe des Beethoven-Orchesters noch mit auf die Bühne, die Fanfaren auf den Balkon und verstärkt so geschickt den Raumklang.

Robin Engelen sieht seine Rolle in erster Linie in der Unterstützung des Geschehens auf der Bühne. Dem ordnet er die Arbeit des Beethoven-Orchesters im Graben unter, orientiert sich an den Bedürfnissen der Sängerdarsteller und lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, wenn beispielsweise während der Ouvertüre der Lärm von Windmaschine und Nebelwerfer auf der Bühne den Klang aus dem Graben empfindlich beeinträchtigen.

Jung-Regisseur Lutz gehört – noch – nicht zu den Meistern seines Fachs. Viele Elemente scheinen zu kompliziert gedacht oder nicht zu Ende geführt. Aber er ist bereit, Dinge mit der nötigen Respektlosigkeit anders zu denken und Stoffe auch einmal in neuen Zusammenhängen zu verbinden. Da sind die Altvorderen schnell dabei zu erklären, warum das alles nicht funktioniert. Am Ende des Abends klingen die Buh-Rufe für das Regie-Team trotzdem nur noch halbherzig unter dem brandenden Applaus hervor. Frenetisch und teils stehend feiern die Gäste die Leistungen von Solisten, Chor und Orchester mit lang anhaltenden Ovationen. Ist ja auch schon mal ein Anfang – das Regie-Team steht ebenfalls mit auf der Bühne.

Michael S. Zerban

Fotos: Thilo Beu