Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER FERNE KLANG
(Franz Schreker)
11. Dezember 2011
(Premiere)

Oper Bonn


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Weit, weit ... mit Geisterhand

Franz Schrekers Oper Der Ferne Klang, 1912 in Frankfurt am Main uraufgeführt, haben Intendant Klaus Weise und Will Humburg als musikalischer Leiter mit großem Aufwand auf die Bonner Bühne gebracht. In dem um 1900 in Deutschland und Italien angesiedelten Verwirrspiel um künstlerische Leidenschaft, Liebe, Verrat und Tod treffen die Protagonisten Grete, der junge Künstler Fritz, der Graf, der Wirt, ein altes Weib  und zahlreiche Nebenfiguren aufeinander und versuchen, die mit und um Fritz und die schöne Grete gesponnenen Fäden zu entwirren. All ihre Bemühungen können ein tragisches Ende nicht verhindern.

Im blaufahlen Mondlicht des ersten Aktes verlässt Fritz seine Geliebte Grete, um dem fernen Klang nachzueilen, den er in der Natur zu finden hofft. Auch Grete versucht, sich ihrem deprimierenden Umfeld zu entziehen und sich ihren Träumen hinzugeben, die sie schließlich in einem Bordell landen lassen. Auf einem großen Fest begegnet die veränderte Grete unverhofft dem immer noch glücklosen Fritz, der sich erneut von ihr abwendet. Als „la bella Greta“ hat Grete inzwischen den Gipfel ihres Prostituiertendasein, aber auch ihrer phantastischen Verblendung erreicht. Fritz begegnet nach dem Scheitern seiner Oper „Die Harfe“  im dritten Akt Grete erneut, wendet sich von ihr als Straßendirne endgültig ab. Zu spät erkennt er seine künstlerische Abhängigkeit von ihr und stirbt in ihren Armen.

Unter der Regie von Klaus Weise haben Martin Kukulies die Bühne und Dorothea Wimmer die Kostüme opulent ausgestattet, Thomas Roscher setzt eine stimmungsvolle Beleuchtung ein. Vor allem im zweiten Akt greift Weise auf sämtliche räumlichen Möglichkeiten zurück und nutzt Nebenbühnen und den Zuschauerraum für diese voluminöse Aufführung. Besonders farbenfroh und voller Effekte präsentiert die Inszenierung die Szene im Bordell. Von der riesigen Venusmuschel des Hintergrundes und den Beinen des Wasserballets á la Esther Williams über die Minis, die Liebesschaukel, die roten Laternen bis zur einschlägigen Stange des Striplokales sind die Insignien des roten Milieus vorhanden.

Feine, schwebende Harfenklänge lassen schon im Vorspiel den fernen Klang erahnen, dem Schreker in dieser Oper nachspürt. Mit der Äolsharfe als ideal-utopischem Wunschbild im Kopf, schaut sich der junge Komponist Fritz sehnsüchtig nach dem vollkommenen Klang um. Er findet nicht nur in der Natur, sondern auch in der Nähe der geliebten Grete. Die Klangsuche spiegelt sich im musikalischen Aufgebot wider, das Schreker hier verlangt. Das reich besetzte Orchester im Graben ist durch zwei Bühnenmusik-Ensembles, ein venezianisches Orchester und eine Zigeunerkapelle, ergänzt. Den umfangreichen Orchesterapparat leitet Will Humburg sicher, energievoll und klar, von den Harfenklängen bis zu den vollen Bläserpartien schaffen die Musiker die Stimmungen, die Schreker dem Bühnengeschehen vorgibt. Ingeborg Greiner als Grete zeichnet die Gefühle, die diese heftig durchläuft, glaubhaft und mit schöner Stimme. Die Rolle des Fritz muss bei der Premiere geteilt werden. Der stimmlich indisponierte Michael Putsch spielt den Bühnenpart, gleichzeitig singt Mathias Schulz von der Seite mit so ausdrucksstarkem Tenor, dass kaum ein Bruch zwischen Spiel und Gesang zu spüren ist. Renatus Meszar als Graf und Frank van Hove als Wirt geben ihren Figuren die nötige Expressivität, Mark Rosenthals Chevalier zeigt einen sicheren, klaren Tenor.

Auch den Chören, mit Chor und Extrachor üppig besetzt, gibt Humburg sicheren Zusammenhalt und die vom Komponisten geforderte Ausdrucksstärke. Insgesamt hält er Solisten, Chöre und Orchester souverän zusammen. Alle Beteiligten zeigen sich den ebenso expressiven wie anspruchsvollen Anforderungen der Partitur Schrekers äußerst kompetent gewachsen.

In der Gestalt des jungen, letztlich erfolgslosen Komponisten Fritz begegnen sich die Enttäuschungen des scheiternden Künstlers und des zerrissenen Liebhabers, der konsequent in dieser doppelten Zerrissenheit in den Armen der Geliebten stirbt. In ihren Phantasmen sind sich Fritz und Grete ebenbürtige Partner. Fragt man aus einer gewissen Distanz zu psychologisierenden Interpretationen, die reichlich zur Verfügung stehen, danach, welchen Eindruck Schrekers Werk hier unmittelbar hinterlässt, so nehmen die farbenfrohe Inszenierung und die Geschichte mit zahlreichen märchenhaften Personen und Elementen, die ihren Phantasien näher sind als einer abgebildeten Natur oder Gesellschaft, das Publikum für sich ein. Teil dieser Phantasie ist Schrekers schwebende, aber kraftvolle Stimmungen vermittelnde Musik, die ebenfalls auf große Begeisterung stößt. Das Publikum bestätigt dies mit spontanem Pausenapplaus und lang anhaltendem Schlussbeifall.

Ob man Schreker als „Künstler von Gottes Gnaden“ sieht, wie er sich selbst gern gesehen hätte, sei dahin gestellt. Die Bonner Aufführung zeigt, dass Der ferne Klang eine außergewöhnliche Oper mit ungewohnten Anforderungen ist. Diese Herausforderung ist überzeugend gemeistert.

Horst Dichanz

 



Fotos: Thilo Beu