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Fakten zur Aufführung 

BALLETTE FÜR KLAVIER UND STIMME
(John Neumeier)
16. Januar 2014
(Premiere am 17. Mai 2013 )

Theater Bonn


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Tief Luft holen

Im vergangenen Jahr feierte das Hamburg-Ballett 40-jähriges Bestehen, und der vierteilige Abend Ballette für Klavier und Stimme kam in Essen zur Aufführung. Nun ist das Hamburg-Ballett zurückgekehrt nach Nordrhein-Westfalen. In Bonn wurde dieser besondere Abend in John Neumeiers unverwechselbarer choreographischer Handschrift in geänderter Besetzung präsentiert.

Vier Stücke ganz unterschiedlicher Couleur sind zu erleben. Der rasche Blick ins Programmheft bleibt bei den Angaben der Uraufführungstermine hängen: Drei Stücke aus den 1970-ern und ein Stück, das erst im letzten Jahr entstanden ist. Der Abend wird eröffnet von dem ältesten Stück Kinderszenen von 1974. Robert Schumanns Kinderszenen op. 15 werden von Christopher Park sehr einfühlsam interpretiert. Sein schwarzer Flügel ist mitten auf der Bühne platziert. Zu Beginn ist nur die Rückwand in leichtes Blau getaucht, und Pianist samt Flügel gleichen einem Scherenschnitt. Eine Tänzerin in schlichtem weißen Trikot, einem fließenden Röckchen die Hüfte umspielend, in heller Strumpfhose und glänzenden Spitzenschuhen betritt die Bühne. Sie schreitet auf den Pianisten zu und sucht Blickkontakt. Sie hält inne, lauscht seinem Spiel. Um sich dann ganz organisch an die Rundung des Flügels zu platzieren und mit einem demi plié, einer kleinen Beugung der Knie in der ersten Fußposition, den Tanzraum zu eröffnen. Ein kleiner, zarter Moment, der einen innerlich lächeln lässt. Diese Leichtigkeit durchzieht die Kinderszenen von Anfang bis Ende. Allen Tänzern ist ein Lächeln ins Gesicht geschrieben. Die junge Besetzung tanzt mit viel Elan, und es macht einfach Spaß zuzusehen. Kleine Patzer der männlichen Tänzer stören das Auge nicht, sondern zeugen eher von aktiver Auseinandersetzung mit dem Schrittmaterial. Trotz weit zurück liegendem Entstehungsjahr: Diese Kinderszenen sind zeitlos schön.

Weiter geht der Abend mit Petruschka-Variationen, die anlässlich der Schwetzinger Festspiele 1976 entstanden. Die sechs jungen Tänzerinnen und Tänzer tragen knallig-orangefarbene und gelb-glänzende Trikotagen. Material und Farbe sind in der Alltagsmode der Teenies gerade wieder angekommen. Und so sind die Kostüme aktueller denn je zuvor. Christopher Park am Klavier begleitet die sechs Tänzer energetisch, wenn sie mit aufgereckten Zeigefingern wie überdrehte Puppen in die Luft springen. Die Formensprache Vaslaw Nijinskys fällt auf, verschränkt sich aber wundervoll mit Neumeiers fließendem Duktus.

Nach der Pause folgt Vaslaw, ein Ballett nach einem Plan von Vaslaw Nijinsky, das niemals realisiert wurde. Spätestens hier sollte man wissen, dass John Neumeier mit seiner Stiftung eine sehr große und bedeutende Sammlung um Vaslaw Nijinsky aufgebaut hat. Aus diesem Schatz konnte er wohl schöpfen, wenn er für Vaslaw sogar auf Musikstücke zurückgreifen konnte, die einst dem berühmten Tänzer des Ballet Russe für diesen Plan vorschwebten. Es ist ein Dialog zwischen Alexandre Riabko und der Compagnie entstanden. Riabko trägt nur weiße Leggins. Die anderen Tänzerinnen und Tänzer sind in grünen Trikots und Röcken der klassischen Tanzsprache treu verbunden. Nur Yun-Su Park fällt in dem Tanz Allemande aus der Reihe: Sie trägt die dunklen Haare offen und fegt barfuß über die Bühne. Sie muss tief Luft holen, um die weit ausgreifenden Raumwege zackig zu bezwingen. Riabkos Bewegungsvokabular hingegen wird immer einfacher und weniger ausgreifend. Wenn er zum Schluss langsam, bedacht und mit ein wenig Verwunderung auf eine Holzbank sinkt und dort verharrt, dann hat man ein Bild vor den Augen: Eine Aufnahme des bereits schwer erkrankten Vaslaw Nijinskys aus dem Krankenhaus. Es zeigt ihn während eines Sprungs. Die letzten Jahre seines Lebens hat Nijinsky nicht mehr getanzt, er verbracht sie in Nervenheilanstalten und Sanatorien.

Die Ernsthaftigkeit dieses Abends kulminiert in Um Mitternacht, ein Ballett das 2013 in Essen zur Premiere kam. Die Rückert-Lieder von Gustav Mahler werden von Christian Peix, Klavier, und Daniel Ochoa, Gesang, interpretiert. Ochoas Worte kann man nicht immer akustisch klar verstehen. Was dem Umstand geschuldet sein mag, dass Ochoa sich am Flügel festhält, der immer noch mitten auf der Bühne platziert ist, und sich direkt darüber der Schnürboden befindet. Edvin Revazov tanzt mit wechselnden Tänzerinnen und Tänzern. Seine große Statur, das blonde halblange Haar und sein verklärter Blick heben ihn vom Ensemble ab. Anna Laudere und Silvia Azzoni setzen punktgenaue und wunderschöne Bewegungen um, die keinen Zweifel an der Choreographie aufkommen lassen: Hier ist jeder Arm, jeder Schritt, jede Beinbewegung an der richtigen Stelle und zum richtigen Moment gesetzt. Trotz der nun vorherrschenden Melancholie auf der Bühne: Die zwei Stunden des Hamburg- Ballett sind wie im Fluge vergangen.

Das Publikum, das bereits nach den einzelnen Stücken begeisterten Applaus spendet, ist nun vollends überzeugt. Einige Zuschauer holen noch einmal tief Luft, bevor sie nach mehrmaligem Applaus sich aus ihren Sitzen erheben. So richtig schnell nach Hause gehen will an diesem Abend kaum einer.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Holger Badekow