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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
16. Februar 2014

Oper Bonn


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Im Tollhaus

3. September 1989. In der „Scala am Rhein“ gibt es die Premiere von Giuseppe Verdis Aida in einer Inszenierung von Jacques Karpo. So wird, nicht ganz zutreffend, in der Ära des Generalintendanten Jean-Claude Riber, also zwischen 1981 und 1992, die Oper Bonn mit dem Unterton der Bewunderung genannt. Riber hat zu Hauptstadtzeiten alle finanziellen Mittel, großes Staatstheater zu machen. Die Stars der Oper von Giacomo Aragall über José van Dam, Agnes Baltsa bis zu Anna Tomowa-Sintow singen regelmäßig in Bonn, seltener in Mailand. Riber gelingt es, weit über Bonn hinaus das Haus am Rhein als Ort einer „Aura der Sänger“ zu etablieren. So ist es auch bei der Aida an diesem Abend. Auf dem Besetzungszettel stehen prominente Namen: Livia Budai etwa, Rosalind Plowright, Lando Bartolini, Luigi Roni, Jean-Philippe Lafont. Was sich niemand im Premierenjubel vorstellen kann, beginnt eineinhalb Jahre später mit dem Beschluss des Bundestages über den Umzug der Regierung nach Berlin. Im Sog der Entscheidung bröckelt durch gravierende Einschnitte in den Haushalt die Basis des Musiktheaters in der – nunmehr – Bundesstadt. Die Öffentlichkeit erlebt und verfolgt mit gemischten Gefühlen den Wandel, manche sagen: Abstieg vom Staatstheater zum Stadttheater, aktuell mit den bekannten misslichen, inzwischen sogar die Existenz der Oper gefährdenden Begleitumständen.

16. März 2014. Erneut steht im Bonner Haus eine Aida-Premiere auf dem Programm. Sie ist die dritte Neuinszenierung, wenn man sich an das Genre im engeren Sinne hält, in der ersten Spielzeit von Intendant Bernhard Helmich. In den Tagen und Wochen vor dieser jüngsten von insgesamt zwanzig Regiearbeiten Dietrich W. Hilsdorfs an der Bonner Oper ist die kulturpolitische Kontroverse um Bestand und Zukunft des Theaters in Bonn samt Festspielhaus und Beethovenhalle weiter eskaliert. OB Jürgen Nimptsch betreibt einen Kurs der rigiden Budgetkürzung und die Fusion mit der Oper Köln, bei geringen Aussichten und mit wachsendem Widerstand im Rat der Stadt. Der Intendant geißelt das öffentlich als „sinnlosen Kreuzzug eines einsamen Sektierers“ und spricht von einem deutschlandweiten Imageschaden: „Kulturfeindlichkeit mit billigstem Populismus“. Kulturdezernent Martin Schumacher, beim Thema Zukunft des Drei-Sparten-Hauses mit seinem Dienstherrn über Kreuz, sucht nach Millionen im Kulturhaushalt und einem Ansatz, zwischen den zerstrittenen Protagonisten zu vermitteln.

Exakt in dieses Szenario ist die Aida-Inszenierung Hilsdorfs eingebettet und daher in ihren – teils absurden, teils köstlichen – Fein- und Frechheiten wohl nur in toto von denen zu verstehen, die die lokale Schlacht um eine angemessene kulturelle Performance der Stadt im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 kontinuierlich verfolgen. Der Regisseur weicht von dem überzeugenden Stil beispielsweise seiner Bonner Händel-Oratorientrilogie massiv ab und bedient sich des Stoffes des Verdi-Librettisten Antonio Ghislanzoni willkürlich. Wie aus dem Setzkasten gegriffen, denaturiert das hehre Drama zur kulturpolitischen Farce. Der Königssitz Memphis im Ägypten zur Zeit der Pharaonen ist jetzt Bonn mit seinem romantischen Siebengebirgs-Panorama. Der Nil wandelt sich zum Rhein, dokumentiert in einer schwarzweißen Postkartenidylle aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die Kriege und Konflikte zwischen den überlegenen Ägyptern und den drangsalierten Nubiern werden in einem Szenario von Militärs in NVA-Uniformen einerseits und zerlumpten Sklaven respektive Kriegsgefangenen andererseits angesiedelt. Zudem gibt es – Blauhelme in der UN-Stadt Bonn! – Soldaten, die sich gegen das Chaos und die Barbarei der Sieger stemmen.

Dramaturgisches Highlight in Hilsdorfs Regiekonzept ist das Feuerwerk, das er in der Triumphszene im zweiten Akt abbrennt. Während der quasi kammermusikalische Teil des Geschehens, die flackernden Leidenschaften, Gefühlsverwirrungen und die seelischen Martern der beiden liebenden Frauen Aida und Amneris sowie des düpierten Hauptmanns der Palastwache und späteren Heerführers, sich in eher spartanisch ausgestatteten verkleinerten Räumen abspielen, macht Hilsdorf es beim Panorama der Siegerrituale nicht unter dem ganzen Haus am Belderberg. Die klassische Fokussierung auf die Bühne wird gesprengt, das Theater selbst zum Raum der Kunst. Das Orchester zieht auf die Bühne um, die Chöre agieren mal seitlich vom Parkett, mal auf den Rängen. Die Trompeten und Fanfaren des Sieges erschallen von Rängen und aus den Logen. Der König der Ägypter, schon leicht von Alzheimer geplagt, winkt huldvoll wie ein Karnevalsprinz aus der Seitenloge. Es ist ja auch Session im Rheinland, erst recht im Tollhaus zu Bonn.

Fürwahr, denn noch toller geht es auf der Bühne selbst zu. Hilsdorf inszeniert mit seinem kreativ famosen Team – Dieter Richter, Bühnenbild, Renate Schmitzer, Kostüme – und einem Großaufgebot von annähernd 200 Mitwirkenden die Demonstration der Sieger ironisierend als Staatsakt, der die Attitüden der weltlichen und geistigen Führer als Pose der Selbstherrlich- und Selbstgefälligkeit ausstellt. Auch wenn einzelne Figuren des herumirrenden Personals mehr an Nordkorea als an das Theben der Pharaonen erinnern – die so auch äußerlich deformierte Amneris inklusive – erlebt das Publikum den Funktionswandel des statischen Staatstheaters zum lebendigen Stadttheater mit spürbarer Wonne. Kaum aufzuzählen sind die Impromptus dieses Tableaus der Tollitäten und der Tollen, von den Veteranen des letzten Krieges über die Witwen, die ihre Kleinkinder dem nächsten als Kanonenfutter von morgen überbringen, von den Jungfrauen, die Armstümpfe als Kriegstrophäen schwenken, hin zu den „Memphis Twins“, die ihre zum Glück unversehrten und durchaus ansehnlichen Arme und Beine im Stile prähistorischer Funkenmariechen schwingen. Eine antike Domina treibt einen Gespielen im Krokodilskostüm mit der Lederpeitsche vor sich her. Allerlei tierisches Gewimmel symbolisiert die Transformation des Staatsaktes als Machtdemonstration zu einer zirzensischen Arena heroischer Lächerlichkeit.

In diesem Event der Extraklasse bekommt letztlich auch der Oberbürgermeister seinen gebührenden Auftritt. Ein durchaus repräsentatives Foto-Porträt von Nimptsch erscheint aus dem Nichts, sarkastisch durch den Untertitel ergänzt: „Ein großer Förderer der Kultur übermittelt seine Grußworte.“ Das Theater, wenn es lebendig ist und vom Elan seiner Macher lebt, hält dagegen, stemmt sich gegen seine Widersacher, wobei es nichts anderes braucht als die Ausdrucksmittel eben dieses Theaters, das in einer Stadt und für seine Stadt lebt und von seiner Einwohnerschaft getragen wird. Im Schlussbild taucht diese Symbolik noch einmal plastisch auf. Auf der Bühne ist eine Kopie des Zuschauerraums zu sehen, quasi mit zwei Rängen. Auf dem unterem, im vermauerten Gewölbe, verreckt das Paar der Liebe und des Verderbens im Kerzenlicht. Über ihnen, auf dem oberen, schiebt Amneris die Tür ein Stück zur Seite. Sie fleht wie in einer Wagner-Oper um Frieden für den verlorenen Geliebten. Es ist ein Flehen um Erlösung, das im kulturpolitisch wüsten Bonn des Jahres 2014 seine eigene Doppelbödigkeit aufweist.

Nichts anderes als tiefen Respekt kann man vor der Koordinationsleistung von Will Humburg, dem musikalischen Leiter, empfinden. Wie er das Beethoven Orchester Bonn, den Chor- und Extrachor des Theaters sowie die Hundertschaft der Statisterie mit großem physischen Einsatz führt, die musikalischen Stränge der Akteure auf der Bühne und im übrigen Haus zusammenhält und nicht zuletzt den Stellungswechsel seiner Musiker zwischen Graben und Bühne meistert, ist bravourös. Das Orchester spielt mit Hingabe, in den monumentalen Passagen wie in den filigranen der genialen Partitur, die für Verdis vielleicht reifstes Werk charakteristisch sind. Die Chöre unter Leitung Volkmar Olbrichs liefern ein imponierendes Zeugnis ihrer Fähigkeit und Unverzichtbarkeit ab.

Den Sänger-Darstellern bleibt es vorbehalten, das jederzeit mögliche Abgleiten des Spektakels in ein Tohuwabohu der platten Beliebigkeit zu verhindern. Viel mehr noch: Bonns neues Ensemble hat das Zeug zur Herausbildung einer neuen „Sänger-Aura“ in der ohnehin reichen NRW-Opernlandschaft. Yannick-Muriel Noah ist Aida, die äthiopische Prinzessin. Die gebürtige Madagassin, in Kanada aufgewachsen und in Philipp Kochheims Bonner Tosca-Inszenierung schon gefeiert, singt und verkörpert die noble Gefangene so ergreifend, dass sich einmal mehr verstehen lässt, warum Verdis Oper so heißt, wie sie heißt und nicht etwa „Radames“. Ihre Technik ist vorzüglich, das Volumen ihres Soprans raumergreifend; die Höhe gelingt scheinbar mühelos. Der Melos im Ausdruck und die Mimik im Leiden nehmen schon im ersten Akt bei Ritorna Vincitor alle Steigerungen vorweg, die noch kommen sollen. In der Beschwörung Fugiam gli ardori inospiti im dritten Akt ist sie beim Maximum der Intensität, ganz bei sich selbst und in den Herzen ihres Publikums, der überwiegenden Mehrheit jedenfalls.

George Oniani gibt den Radames, ägyptischer Feldherr und zerrissen – wie in vielen großen Opern der großen Italiener – zwischen Sopran und Mezzo. Der Georgier, Ensemblemitglied seit 2008/9 und schon als Caravadossi Partner der Noah, gestaltet die schwierige Partie mit einem exorbitanten Stimmvolumen. Wäre Oniani ein Rennwagen, Liebhaber der Formel Eins würden ihn vergöttern. Celeste Aida, das Einstiegsjuwel, bricht ein Stück weit rigide, mit unvermittelter Verve aus ihm heraus, was aber wohl eher Verdi als dem Tenor zuzuschreiben ist. Das Liebesbekenntnis ist zumindest bis in die höchsten Sitzreihen des Hauses zu hören. Auch das nicht ohne Symbolik. Braucht doch die Opernkultur in Bonn gut vernehmbare Bekenntnisse.

Tuija Knihtilä als Amneris, Tochter des Pharao, ist in dieser Produktion die Überraschung. Die Finnin, erste in einem ganzen Quartett von Sängerinnen und Sängern an diesem Abend aus dem skandinavischen Land, überzeugt bei ihrem Bonn-Debüt mit einer Mezzo-Stimme, die vieles aufbietet, was die Rolle verlangt: verführerische Tiefe, anklagende Höhe, Kraft und Geschmeidigkeit. Ihr Landsmann Rolf Broman lässt als Oberpriester Ramfis mit gut akzentuiertem Bassbariton aufhorchen. Priit Volmer als König, Vater der Amneris, ist stimmlich und schauspielerisch eine markante Erscheinung. Der Bass hat schon eine Solo- Karriere an der Nationaloper Estlands hinter sich und drängt sich förmlich für diverse Buffo-Rollen etwa im Rossinifach auf. Mark Morouse ist Amonasro, König von Äthiopien und Vater der Aida. Er liebt und prüft seine Tochter mit packender Vehemenz und beweist einmal mehr sein Standing als eine der Stützen des Bonner Ensembles seit bald 20 Jahren.

Das Publikum nimmt die Aida in der musikalischen Dimension ganz überwiegend mit Enthusiasmus auf. Humburg wird zum Kulminationspunkt starker Affirmation. Hilsdorf dagegen erfährt von vielleicht einem Drittel des Premierenpublikums krasse Ablehnung. Ein einzelnes lautstarkes Buh musste sich zuvor schon Chorleiter Olbrich anhören. Helmich liefert bei der Premierenfeier eine Erklärung. Ein wenig begeisterter Besucher habe ihn für den Regisseur gehalten. Der gute Mann soll allerdings von außerhalb stammen.

Ralf Siepmann

Fotos: Thilo Beu