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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
27. August 2011
(Premiere)

Jahrhunderthalle Bochum


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Die offene Weite

Willy Decker, Intendant der Ruhrtriennale 2011, im Gespräch mit Franz R. Stuke über Tristan und Isolde im Zeichen des Buddhismus, Räume und das Ruhrgebiet (6'59).


Nach der Premiere

Ute Schäfer, Kultur-ministerin NRW, und Willy Decker über die Bedeutung der Ruhr-triennale und die Premiere von Tristan und Isolde. Michael S. Zerban berichtet (3'52).

 

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Wenn ein Blick die Welt verändert

In der Jahrhunderthalle in Bochum hat ein Blick die Welt verändert. Es ist der Blick Isoldes auf Tristan, mit dem die diesjährige Ruhrtriennale eröffnet wird. Regisseur Willy Decker hat diesen Blick und das nachfolgende Geschehen in seiner letzten Intendanz des Festivals inszeniert, und es ist ihm gelungen, damit die Herzen der Menschen zu verzaubern. Nichts weniger als das.

Das Vorspiel zu Wagners Tristan und Isolde findet vor geschlossenem Vorhang statt. Als der sich öffnet, sind zwei Platten zu sehen. Eine Bodenplatte und eine Deckenplatte, die dank lautloser Hydraulik, Hebe- und Senktechnik in nahezu jedem Winkel in beinahe jeder Richtung verschiebbar sind. Wolfgang Gussmann hat seine Bühne als Podest im rauen Industriehallencharme positioniert und schafft mit Unterstützung des technischen Teams der Ruhrtriennale ab sofort permanent neue Räume und Perspektiven, indem er einerseits die Platten ständig gegeneinander verschiebt und andererseits das Podest als solches im Raum bewegt. Was so prosaisch-technisch klingt, wird im Licht von Andreas Grüter ein – im doppelten Wortsinn – fantastisches Erlebnis. Auch wenn auf der Bühne kaum einmal ein Element zu finden ist, die Personen quasi auf sich gestellt bleiben, ist nichts minimalistisch; sondern hier wird ein grandioser technischer Aufwand getrieben, der an einem anderen Ort, wie etwa einer herkömmlichen Bühne, wohl kaum zu verwirklichen wäre. Gussmann, seit nahezu drei Jahrzehnten Wegbegleiter von Decker, hat zusammen mit Susana Mendoza auch die Kostüme entworfen, die ihre Unterordnung im Gesamtgeschehen finden. Einen Dank dafür, dass König Marke zwar im bodenlangen Mantel, aber immerhin nicht ledern daherkommt. Es gibt bei Wagner keine wirkliche Handlung. Decker und sein Team beleben die Bühne dennoch einerseits durch die permanente Verschiebung der Räume, andererseits durch quasi-geniale Projektionen von Momme Hinrichs und Torge Møller in einer Kugel, die permanent immer wieder ins Spiel gerollt, geschoben, gesenkt wird.

Vor und in solcher Umgebung fühlen sich die Darsteller sichtbar wohl. Ohne Fehl und Tadel präsentieren sich Sängerinnen und Sänger, dass es Balsam für die Seele ist, ihnen zuzuhören, bis in die kleinste Rolle hinein. Christian Franz interpretiert den Tristan in einer sich steigernden Nuanciertheit, dass es einem fast schon unheimlich wird. Der Tristan ergebene Kurwenal wird von Alejandro Marco-Buhrmester mit konturenreichem Bariton gesunden. König Marke wird von Stephen Milling in geradezu mutiger Weise entschleunigt, ohne dass ihm dabei auch nur der Ansatz eines Fehlers unterliefe. Claudia Mahnke verleiht der Brangäne alle nur möglichen geforderten Facetten, und Anja Kampe begeistert als Isolde das Publikum mit lupenreiner Stimme. Es ist ein Hochgenuss. In der Darstellung wirkt die Kampe seltsam unerotisch; vielleicht sind es die immer nur angedeuteten Begegnungen mit Tristan: Wie kann eine, die vom Untergang des Tages und des Lichts bedroht wird, wenn Tristan ihr nicht die Erfüllung bietet, ihn nur angedeutet berühren, gar in der Liebesnacht des zweiten Aktes wie tumbe neben ihm liegen? Da helfen auch ästhetisierende Nacktbilder in der Projektion nicht.

Aber was ist das alles im Angesicht der Musik, die die Duisburger Philharmoniker unter der Leitung eines Kirill Petrenko bieten? Sie nehmen dem Wagner das Pathos, verbieten seiner Musik alles Schwülstige, offenbaren Transparenz und finden die nötige Balance mit den Sängerinnen und Sängern. Mutig in Reduktion und Ziselierung führen sie die Wagner-Musik ans Licht, versprengen Champagner, wo sonst der süße Koblenzer Weißwein gereicht wird. Manchmal ist Wagner eben nicht nur deutsche Herrlichkeit, sondern echter Genuss aus Deutschland. Orchester und vor allem musikalischer Leiter haben es an diesem Abend bewiesen.

Wenn im Schlussbild die Isolde im allmählich wegdimmenden Licht der Wirklichkeit entsagt, ist das Publikum hingerissen und bietet alles auf, seine Begeisterung zu beweisen. Gewiss war dieses Publikum nicht repräsentativ für die Menschen im Ruhrgebiet, aber genau denen möchte man solche Aufführungen immer wieder wünschen – weil, so sagt auch Willy Decker, diese Aufführungen für die Menschen im Ruhrgebiet wie in der ganzen Welt gemacht sind. Recht hat er.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Paul Leclaire