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Fakten zur Aufführung 

DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill)
16. Mai 2012
(Premiere am 8. Oktober 2011)

Schauspielhaus Bochum

Points of Honor                      

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Immer diese Verhältnisse

Die Hauptprotagonistin dieses Abends, dieser Inszenierung ist nicht körperlich vorhanden, nicht auf der Bühne, trotzdem sehr real und präsent. Sie findet sich in jeder der Figuren, in jeder Szene, in jedem Song: Die Scheinheiligkeit. Eigentlich ist sie das einzig Echte in dieser Interpretation des Singspiels. Denn  scheinheilig sind sie alle; natürlich Peachum und sein Bettlergeschäft, sein Verhältnis zu Celia, seiner Frau, „Tiger“ Brown ist genau so scheinheilig wie seine Polizisten aus Soho. Mackie Messers Bandenmitglieder, er hängt noch nicht einmal, ziehen schon seine Kleider an, würfeln gar nicht erst um sie. Natürlich ist die einzige „Ordnungsmacht“ dieser Unterwelt korrupt, „Tiger“ Brown ein scheinheiliger Hund, Macheath ist Polly gegenüber scheinheilig, sie aber auch ihm gegenüber. Nur  diese scheinheilige Grundhaltung ist echt – eine herrliche Verdrehung bürgerlicher Moral.

Das Bühnenbild von Viva Schudt und die Kostüme von Maria Roers lassen der Phantasie der Zuschauer viel Raum, von Peachum und Macheath abgesehen, bleiben sie zeitlos treffend. Der offene Bühnenraum ist gestuft, ein langer, verhängter Tisch dient als Tafel, Unterschlupf oder Bühne, für die Kerkerzelle des Mackie reicht ein Pappkarton, die Freude breitet sich im entsprechenden Haus auf allen Ebenen aus, der Bettler Filch informiert das Publikum über seine Gebrechen und seine Lebensphilosophie mit Papptafeln. Lediglich der Strick ist klar und nicht zu übersehen, er senkt sich über der Bühnenmitte auf Macheath´ Kopf zu.

Nicola Mastroberardino gibt dem Macheath, genannt Mackie Messer ein zunächst angenehmes, dann aber überraschend brutal hervorbrechendes Temperament, Matthias Redlhammers Peachum erhält selbst in diesem Milieu eine gewisse Seriosität des cleveren Geschäftsmannes, unter dessen Oberfläche ebenfalls – scheinheilig – der kompromisslose Diktator der Bettler herrscht. Polly Peachum wird von Maja Beckmann gekonnt zwischen Naivität und eigener Raffinesse gespielt. Die weiteren Partien vervollständigen mit schrillen Kostümen und wilder Haarpracht die ungewohnte Atmosphäre dieser eigenartigen Halbwelt.

Aber die Szene ist, die individuellen Personen sind nicht das Wichtigste in dieser Inszenierung von Christoph Frick. Es sind die abstrahierten, entfremdeten, irrealen Figuren, die diese Welt skizzieren, die treffend und mit den prägnanten Lebensweisheiten der Figuren in den Songs kraftvoll und flott präsentiert werden. Brechts Lehrtheater kommt mit Weillscher Musik flott und scharf daher, nutzt die Nähe zu Varieté und Kabarett, um seine Gesellschaftskarikatur treffsicher zu platzieren. Die Handlung tritt dabei ein wenig in den Hintergrund, reale Personen werden zu Figuren, die Ideen werden durch die Songs voran getrieben, und dies scharf pointiert und unterhaltend. Dass „die einen im Dunkeln“ sind und „die anderen im Licht“, trifft eben nicht nur für eine Zeit zu, „die längst vergangen ist“. Nein, diese Songs sind zeitlos aktuell und musikalisch eingängig, wie die vielen Coverversionen zeigen, die seit dieser Zeit produziert wurden und aus der Moritat des „Mackie Messer“ einen Gassenhauer machten.

Die siebenköpfige Band trifft den Weillschen Sound sicher und mit viel Gespür für die Atmosphäre dieser Halbwelt. Sie gibt den Songs das zwielichtige Timbre. Wer allerdings die fetzig-jazzigen Versionen etwa des Mackie Messer mag, wie sie Louis Armstrong mit unverwechselbarer Stimme als Satchmo oder im Duett mit Lotte Lenia zu Jazz-Klassikern gemacht hat, wird ein wenig diese jazzige Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Songs vermissen.

Die Bochumer Aufführung kann auf Parallelen zu den diversen Verfilmungen, unter anderem der von Wolfgang Staudte von 1962 verzichten. Ihre relativ enge Orientierung an den Vorlagen von Brecht und Weill gibt der Aufführung ihr eigenes Gesicht und ihre Aussagekraft über die Verhältnisse und die Menschen in ihnen. Die Zuschauer empfinden die Authentizität und bedanken sich mit anhaltendem Beifall.

Horst Dichanz





Fotos: Diana Küster