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Fakten zur Aufführung 

DELUSION OF THE FURY/
BITTER MUSIC

(Harry Partch)
1. September 2013
(Europäische Erstaufführung am
23. August 2013)

Ruhrtriennale,
Jahrhunderthalle Bochum


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Musikrebellion eines Outsiders

Erfahrene Ruhrtriennaler kennen das inzwischen: Der Weg zur Kunst führt hier durch alte Industriehallen, in denen, obwohl ausgeräumt und ein wenig aufgehübscht, mancher noch den Rauch und Geruch der Eisenverarbeitung in der Luft zu riechen meint - ungewohnte, riesige, gelegentlich auch unwirtliche Orte für Kunstpräsentationen – einerseits. Andererseits überraschen diese oft riesigen  Räume in ihrer harten Funktionalität mit einer rauen Ästhetik eigener Art,  die einen ungewohnten Rahmen für außergewöhnliche Präsentationen bieten. Künstler finden hier für ihre Inszenierungen ungewohnte Dimensionen, einen eher groben, unempfindlichen „Bühnenraum“, der Regieeinfälle zulässt, die kein Theaterdirektor akzeptieren würde. Die Ruhrtriennale hat auch inhaltlich längst den Raum des Theaters verlassen und profiliert sich zunehmend als International Festival of the Arts, das die ausgemusterten Industriebauten des Ruhrgebietes umfangreich und kreativ als neue Präsentationsräume für Aufführungen am Kreuzpunkt von Konzert, Theater und Performance wirkungsvoll nutzt.

Für die Inszenierung von Harry Partchs The Delusion of the Fury – A Ritual of Dream and Delusion hat Heiner Goebbels die Eigenheiten, die die Jahrhunderthalle in Bochum bietet, großzügig genutzt. Nach dem Spaziergang durch dunkle Fabrikräume landen die Besucher in einem abgeteilten Teil der Halle und finden sich vor einer großen, schwarz abgehängten Bühne mit zahlreichen rätselhaften Gestellen, die sich im Laufe des Abends als originelle und wohl klingende Instrumente besonderer Art entpuppen. Sie hat Thomas Meixner vom Ensemble musikFabrik für diese Produktion nach Entwürfen von Partch bauen lassen: Glaskolben und -schirme erinnern im Klang an asiatische Glocken und Gongs, unzählige Percussioninstrumente, von Holzblocktrommeln über Klangbalken bis zu Bambus-Marimbaphonen bringen weiche Tonpassagen aus Asien und Afrika ins Auditorium,  darunter mischen sich harfenähnliche Klänge, metallene Töne zweier Gasflaschen, der elektronische Sound zweier Harmonien und manchmal das Rauschen des Baches, der das Orchesterpodium durchfließt. Die Musiker, meist in heutigem Alltagsoutfit, tragen Arbeits-Schutzhelme mit Kopflampen, sie fungieren auch als Chor oder als Dorfmitglieder – ein buntes, ständig wechselndes Treiben, dessen Geschichte sich kaum erschließt. In der Musik herrschen perkussive Elemente vor; sie wechseln von zarten, filigranen Passagen über klangvolle Phrasen der Saiteninstrumente bis zu den langsamen schwermütig-dumpfen Schlägen der tiefen Klangbalken – vielfältige und farbenreiche Klangbilder.

Die Musik Partchs, für die er ein besonderes, über die 12-Ton-Musik hinausgehendes Tonsystem erfunden hat, versetzt die Zuhörer in eine eigenartige, gelöste Stimmung, sie „steht ... niemals völlig still“. Sie baut Spannungen über Rhythmen auf und umrankt diese mit feinen Klanglinien, in denen vertraute Melodiebögen und Harmonien fehlen. Die gleitenden Klangflächen betrachtet Partch als „körperliche Musik“, die durchaus psychedelische Elemente spüren lässt.

Neben den Chorpassagen verstärken Soloeinschübe wortloser Lautgebilde das Rätselhafte der Inszenierung. Ein mit Stahlstangen angedeuteter Bambuskampf führt wieder in asiatische Bezüge zurück.

Florence von Gerken wandert mit ihren Figurenkostümen durch Kulturen und Zeiten, lässt den Pilger neben dem Vagabunden auftreten. Klaus Grünberg hat keine Mühe, die schemenhaften Instrumente in wechselndes Licht zu tauschen, am Bach Feuer aufflackern und die Kopflampen plötzlich in Dunkelrot leuchten zu lassen – der Zuschauer ist kaum in der Lage, die vielen ständigen Veränderungen wahrzunehmen – Traum oder Täuschung ?

Die Botschaft dieser Aufführung reicht weit, Partch selbst versteht sein Stück als „ganzheitliches Theater“, sieht in seiner Musik gar eine Dreifaltigkeit, „in der sich magische Klänge, visuelle Form und Schönheit und Erfahrungsrituale“ begegnen. Was immer das konkret bedeutet, die Mitwirkenden des Ensemble musikFabrik überzeugen durch eine äußerst präzise und stimmungsvolle Aufführung, in der sie die feingliedrige Musik von Partch ihrem Publikum nahe bringen.

Ein begeistertes Publikum bedankt sich mit rauschendem Beifall, verstärkt durch Trampeln und Bravorufe für einen Abend  mit Klangfülle, Originalität und musikalischer Leichtigkeit, dessen rätselhaft-schwermütige Hintergründe es kaum entschlüsseln kann, dessen ungewohnte Musikalität es gleichwohl gerne genießt.

Horst Dichanz

Fotos: Heike Kandalowski (1),
Wonge Bergmann (2-5)