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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
8. Mai 2011 (Premiere)

Oper Bonn

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Am Vorabend der Revolution

Ohne Vorwarnung platzt Dietrich Hilsdorfs Sicht auf Lortzings Wildschütz in das Auditorium. Nicht die Ouvertüre eröffnet das Werk sondern direkt die Hochzeit des Schulmeisters Bacculus mit seinem jungen Gretchen. Auf die Ouvertüre wartet man den ganzen Abend leider vergeblich, und dabei hätte das Beethoven Orchester Bonn diesen „Solobeitrag“ doch so sehr verdient gehabt. Robin Engelen führt das Orchester sehr ausgewogen durch die Partitur, so dass man viele Facetten vernehmen kann, die Lortzings Musik so einmalig machen. In Bonn wird nicht nur begleitet sondern farbenreich interpretiert. Manches Ensemble wird fast in belcantohafter Zuspitzung rasant zum Abschluss gebracht.

Ganz klassisch zeigt Hilsdorf die Oper, mit sicherem Gespür für die Satire, ohne dabei je ins Comichafte abzugleiten und mit einer großen Prise Humor, die aus der durchaus ernsten Handlung und den entlarvenden Dialogen wie von selbst entsteht. Das sehr aufmerksame und erfreulich konzentriert ruhige Publikum wird von den Pointen zielsicher erwischt. „Der Wildschütz oder ein unmoralisches Angebot“ heißt bei ihm die Oper, was „die Stimme der Natur“ ersetzt. Tatsächlich hat Hilsdorf mehr die Moral im Blick als die Natur. Der erste Akt spielt im tristen Klassenzimmer, dessen Wände ehrwürdige Parolen wie „Bete und arbeite“ zieren und an denen das ABC mit Lippenhaltung erklärt wird. Als passender Gegensatz dazu die herrschaftlichen Räume des Grafenpaares Eberbach mit schmucken Wänden. Dieser Anblick provoziert zu Recht Applaus für die genialen Arbeiten von Dieter Richter. In dieser Pracht zeigen sich die wie durch einen Wasserschaden verwischten Farben oben links wie ein Verweis auf die dahinschwindende Moral der Bewohner und Besucher dieses Saales. Toll auch die Kostüme von Renate Schmitzer. Die Bürgerlichen tragen unterwürfiges Schwarz und Grau, die Herrschaften schmucke Reiteruniformen und weiße Unschuldsanzüge.

Hilsdorf und sein Team verorten den Wildschütz also optisch ins Jahr 1842. Keine modernen Mätzchen stören die Handlung und die Personenführung ist hervorragend. Der prächtig singende Chor (Einstudierung: Sibylle Wagner), bereichert durch den sicheren Kinderchor der Bonner Oper (Einstudierung: Ekaterina Klewitz), wird in die Szenen sehr souverän eingebunden. Hilsdorf hat die Personen mit einem hervorragendem Ensemble so akribisch erarbeitet, dass man selbst eine Randfigur wie die Nanette in der präsenten Darstellung von Charlotte Quadt als eigene Persönlichkeit wahr nimmt. Das Gretchen von Kathrin Leidig ist sowohl vokal als auch szenisch weit entfernt von einem niedlichen Mädchen. Resolut macht sie auf der ihr ganz und gar nicht behagenden Hochzeit den Mund zur zweiten Strophe des Hochzeitsliedes auf.

Die adligen Damen strotzen nur so von selbstbewusster Ausstrahlung: Julia Kamenik fehlt es noch ein wenig an leuchtender Führungskraft in den Ensembles, doch ihre Baronin Freimann kann sich deutlich abgrenzen von der Rolle des Gretchen

Anjara I. Bartz spiegelt die Gräfin Eberbach durch ihr würdevolles, aufrechtes Auftreten auch in ihrer klangvollen Stimme wieder. An das casanovahafte Verhalten ihres Mannes hat sie sich längst gewöhnt: Giorgos Kanaris setzt seinen etwas monochromen Bariton als Graf sehr charmant und gewinnbringend ein. Kaum einen Deut besser als er, nur durch die Umstände etwas anders geprägt, ist der Baron Kronthal, den Mirko Roschkowski mit seinem herrlich attraktiven und Energie geladenen Tenor zwischen sauberen Strahlemann und kalkulierendem Käufer anlegt. Zwischen den Herrschaften fühlt sich Bühnenveteran Carlos Krause als Haushofmeister Pankratius sichtlich wohl und kommentiert das Geschehen mit einem abgeklärtem „Alles närrisch“. Renatus Mészár schließlich vollbringt das Kunststück und fördert die Komik des Baculus aus dessen bedrohlicher Ernsthaftigkeit zu Tage.

In seiner Eifersucht um Gretchen hebt er sogar das Gewehr gegen den Grafen. Schon hier ist absehbar, dass Hilsdorf sich auch die unterschwellige politische Dimension des Werkes vornehmen würde. Im Finale des dritten Aktes schließlich erscheinen einige Studenten mit Deutschlandfahnen als Vorreiter für die Märzrevolution 1848 und als die anwesenden Bauern ihren Grafen mit Sensen bedrohen, regnet es Schriften von Himmel: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, „Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten“ und „Die Verfassungen in Deutschland sind nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben“ ist darauf zu lesen.

Das Bonner Publikum nimmt diesen Moment als finale Zuspitzung der Inszenierung wahr und schließt Hilsdorf in seinen enthusiastischen Applaus mit ein. Vor allem aber das sehr ambitionierte Sängerensemble wird begeistert gefeiert, mit Steigerungen bei der dominierenden Herrenriege. Ein voller Erfolg für Bonn und Lortzing!

Christoph Broermann

 







Fotos: Thilo Beu