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Fakten zur Aufführung 

LA SONNAMBULA
(Vincenzo Bellini)
3. Juli 2011 (Premiere)

Oper Bonn


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Hörbeispiel 1

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie Julia Novikova als Amina.

  

Hörbeispiel 2

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie Martin Tzonev als Rodolfo.

  

Hörbeispiel 3

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie Marc Laho als Elvino.

 

 

 

 

 

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Geschlossene Gesellschaft

„Wer Literatur kennt, die sich in Gebirgstälern abspielt, weiß, dass Massenhysterien, wenn sie einmal dort im Kessel rotieren, eigentlich immer mit einem Menschenopfer enden“, sagt Regisseur Roland Schwab und gibt damit den Verlauf eines grandiosen Abends vor.

Die Handlung ist übersichtlich. Ein Schweizer Gebirgsdorf. Amina soll Elvino heiraten, womit Lisa nicht einverstanden ist. Nach dem Hochzeitsversprechen geht die Dorfgemeinschaft schnell auseinander, um die Nacht nicht im Freien verbringen zu müssen. Ein Gespenst macht die Gegend unwirtlich. Rodolfo kommt aus der Stadt in das Dorf. Weil er spät dran ist, wird er statt im Schloss im Wirtshaus von Lisa untergebracht. In seinem Zimmer taucht Amina als Schlafwandlerin auf. Dort wird sie am nächsten Morgen allein in Rodolfos Bett entdeckt. Daraufhin entschließt sich Elvino, die Verlobung zu lösen und Lisa zu heiraten. Der Graf deckt den Irrtum auf, indem er die Dorfgemeinschaft über das Schlafwandeln aufklärt, Lisa wird der Lüge überführt; als Amina als Schlafwandlerin auftaucht, will Elvino doch lieber sie heiraten.

Schwab interessiert sich mehr für das gesellschaftliche Phänomen des abgeschlossenen Mikrokosmos. Die heile Welt gibt es nicht. Selbst, wo das (Ehe-)Glück scheinbar perfekt ist, existiert eine Nebenbuhlerin. Wenn in diesen Mikrokosmos die Außenwelt in Gestalt von Rodolfo einbricht, droht der Umbruch. Schlimmer noch, wenn es dazu ein dunkles Geheimnis gibt: Ein Gespenst. Während die scheinbar eingeschworene Gemeinschaft das Hochzeitspaar hochleben lässt, brodelt es. Amina flüchtet sich in die Parallelwelt des Schlafwandelns, vielleicht die einzige Möglichkeit, in einer derart geschlossenen Gesellschaft zur Individualität zu finden. Das kann nicht gut gehen. Im Schlussbild macht Schwab klar, dass Parallelwelten früher oder später zerschellen.

Das Bühnenbild von Frank Fellmann unterstützt kongenial die Auffassung des Regisseurs, dass die „artifiziellste Leichtigkeit“ und das gleichzeitige Zugrundegehen daran Belcanto ausmache. „Selbst die feierlichen, elegischen Stellen müssen eigentlich eine Angst als Untergrund haben, so dass man dem Glück nie ganz trauen kann“, erklärt Schwab sein Verständnis, dass sich im Halbdunkel der Bühne ausmacht. Fellmann konzentriert sich auf das Wesentliche, aus dem unversehens die Bedrohung auftauchen kann. Die leere Bühne mit der Fototapete einer schweizerischen Berglandschaft als Hintergrund, über der rechten Hälfte der Bühne ein Schacht, der von oben hereinragt und zur Versorgung, Beleuchtung und auch mal als Symbol für die mikroskopische Betrachtung der Gesellschaft dient. Passend dazu wählt Renée Listerdal klassisch-einfache Kostüme von Dorfbewohnern im Sonntagsstaat des 19. Jahrhunderts oder jedenfalls, was man sich darunter landläufig vorstellt. Ärgerlicher Lapsus ist die Umbaupause im ersten Akt. Das ist genauso wenig zu Ende gedacht, wie die Bewegungsfreude der Darsteller. Gewiss, Belcanto ist kein Action-Film. Aber wenn die Sängerinnen und Sänger in Dialog treten, muss man sie nicht weiter mit weltentrücktem Blick oder dem Publikum zugewandt verharren lassen. Da scheint das Artifizielle überzogen in die Langeweile.

Langeweile kommt letztlich deshalb nicht auf, weil die Sängerinnen und Sänger, der Chor des Theater Bonn in der Einstudierung von Sibylle Wagner und das Beethoven Orchester unter Leitung von Robin Engelen von Anfang an begeistern. Herausragend Julia Novikova als Amina. Gläserne, unschuldige Reinheit in der Höhe, Koloraturen von erschütternder Klarheit und absolute Sicherheit in der Mittellage: Das ist mit gerade mal 31 Jahren eine faszinierende Leistung in einer Rolle, die selbst die Callas als Herausforderung begriffen hat. Tenor Marc Laho in der Rolle des Elvino steht ihr kaum nach. Auch er begeistert mit lyrischem Ausdruck, vermag das Publikum auch in den zahlreichen Wiederholungen zu fesseln. Etwas schwerfällig findet Martin Tzonev zu einem verständlichen Bariton, überzeugt aber über die Dauer der Aufführung. Rollenbedingt finden weder Susanne Blattert als Teresa, Emiliya Ivanova als Lisa noch Sven Bakin als Alessio wenig Gelegenheit zu glänzen, erfüllen ihre Aufgaben aber überzeugend. Emiliya Ivanova, die ihren Sopran schon mal blitzen lässt, wird sich in den Folgevorstellungen als Amina beweisen können.

Robin Engelen gelingt es, bei den Akteuren die „artifizielle Leichtigkeit“ freizusetzen, die ein Bellini fordert. Mit großem Engagement leitet er das Orchester durch die nur scheinbar leichten Passagen, sorgt mit deutlichen Vorgaben für den pünktlichen Einsatz von Chor und Sängern und unterstreicht so die großartige Leistung von Julia Novikova.

Das Publikum ist hingerissen. Es gibt Bravo-Rufe mit anhaltendem Applaus nach jeder Arie. Die Frage, ob man für einen Opernabend Medikamente einnimmt, die die lautstarken Nebenerscheinungen einer Erkältung lindern, beantwortet das Bonner Publikum mit einem klaren Nein und hustet und schneuzt und schnieft sich durch die Aufführung. Aber alle Störungen und Widrigkeiten führen nicht daran vorbei, dass hier ein ganz großer Opernabend zu einem gelungenen Abschluss findet.

Michael S. Zerban

 









 
Fotos: Thilo Beu