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Fakten zur Aufführung 

BABEL (WORDS)
(Sidi Larbi Cherkaoui und
Damien Jalet)
10. März 2011
(UA: 27. April 2010, Brüssel,
Théâtre Royal de la Monnaie)

Theater Bonn


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Der Tanz und das Wort

Mit Ovationen fast ohne Ende ging im ausverkauften Bonner Opernhaus das Gastspiel von Sidi Larbi Cherkaouis Erfolgsproduktion Babel (words) zu Ende. Im April 2010 wurde das von der Belgischen Nationaloper La Monnaie in Brüssel und Cherkaouis Eastman Compagnie produzierte Stück im dortigen Königlichen Zirkus uraufgeführt und kann einen Siegeszug verbuchen, der im zeitgenössischen Tanz nicht gerade an der Tagesordnung ist.

Cherkaoui (*1976 in Antwerpen) arbeitet für Babel mit Damien Jalet als Ko-Choreographen zusammen und zog wie auch bei den Stücken Zero degrees (mit Akram Khan, 2005) und Sutra (mit den Shaolin Mönchen, 2008) den britischen Bildhauer und Turnerpreisträger Antony Gormley hinzu. Grundlage des Bühnenbildes sind Quader und Kuben als Grundelemente der Architektur der Moderne: Gormley hat ein Ensemble unterschiedlich großer Aluminiumrahmen konstruiert, die Volumen nur andeuten und bloße Skelette von Räumen darstellen. Vielgestaltig können sie aufeinander und ineinander arrangiert werden. Alle unterschiedlichen Formats, aber vollständig unter- und miteinander kompatibel, sind sie auch Gleichnis für die Individualitäten der Tänzer, die genau wie die architektonischen Formen Raum im Raum beanspruchen. Gormleys Skulpturen dienen als Spielmaterial für die Tanztruppe: man kann in ihnen und mit ihnen tanzen, wahlweise wird aus ihnen der Turm zu Babel geschichtet oder ein Gang für eine Personenkontrolle im Flughafen für eine im globalisierten Treiben mobilgemachte Menschheit evoziert. Andere Raumkonstellationen markieren begrenzte Territorien, werden ausweglose Zellen oder sind Ausdruck avantgardistischer Wohnbereiche der Moderne. Die Abstraktion im Bühnenbild erlaubt eine schnelle und assoziative Anwendung auf alle möglichen Situationen, zeigt damit aber auch die Ambiguität: einerseits das Einengende der Form, andererseits die locker manipulierbare Form, wenn sie Spielball menschlicher Willenskraft und Kreativität wird.

Sidi Larbis Cherkaoui's international zusammengesetzte Eastman Compagnie besteht für Babel aus dreizehn TänzerInnen, die mindestens ebenso viele Sprachen sprechen, und dies in babylonischer Sprachverwirrung im Stück auch tun – und zwar jeder in seinem Idiom. Babel ist ein Plädoyer für das Viele, für ein farbiges plurikulturelles Verhalten und für ein Zusammenschmelzen der Vielheit im gemeinsamen Miteinander. Cherkaoui und Jalet betonen das Gemeinsame vor dem Trennenden, wobei die Sprache als das Trennende aufgefasst wird und Gestik, Bewegung und Rhythmik als das Vereinende, ursprünglich allen Zugrundeliegende. Das ist die Ausgangsthese des Stückes, die zu Beginn von der schwedischen Tänzerin Ulrika Svensson, als automatenhafte Puppe ganz mechanisch agierend, erzählt wird. Im Ursprung und vor dem misslungenen Turmbau zu Babel sei alle Kommunikation Geste gewesen, behauptet sie verbal und in Gestensprache zugleich.

Der Tanzabend hat keine große Form, keine Chronologie, auch keine einheitliche choreografische Handschrift. Einzelne Szenen addieren sich aneinander, Theaterelemente wechseln mit reinen Tanzszenen. Humorige, manchmal gar derbe Gags und Slapsticks machen den Abend sehr kurzweilig, das Ganze wird angetrieben von der starken Rhythmik der Musik. Getanzt wird immer virtuos, manchmal innig und intim, hinreißend hier etwa Navala Chaudari, oft energetisch, manchmal geradezu akrobatisch und super-koordiniert, etwa in den Bewegungsszenen, die die Alukuben Gormleys durch die Gegend wirbeln.

Essentielles Element für die oft elementare Aktivität der TänzerInnen ist das Live-Ensemble : Christine Leboutte, Patrizia Bovi und Gabriele Miracle mit europäischer Alter Musik reagieren auf den Kodo Drummer, Kazunari Abe und die beiden Brüder Mahahub und Sattar Khan mit mongolisch-hinduistischen Rhythmen; also auch vom Musikalischen her ein Stilmix, eine synkretistische "Weltmusik", die trotz der Verschiedenheit - und das ist das Frappierende - als Einheit wirkt. Das Orchester ist präsent im Hintergrund der Szene angesiedelt, einzelne Musiker und Sänger agieren oft in die Handlung hinein, etwa wenn Kazunari Abe die Gormleyschen Skulpturen als Schlagwerk nutzt. Harte, oft sehr schnelle und dynamische Rhythmen sind das treibende Element des Abends – Rhythmen sind das, was die Menschen – anders als die Sprache verbindet, sie sind elementar und damit zugänglich. Jeder Tänzer, jede Tänzerin plappert im Stück in ihrer Sprache vor sich hin, ein vielsprachiges Konzert, die Rhythmen geben ihnen eine gemeinsame Grundlage. "Rhythms emerge here as a possible common denominator amongst this kaleidoscope of voices and words, the nerve cells that might just convey sense and feeling without distortion. Rhythms that are not just universal, but also timeless: primeval yet constantly new. Rhythms that surround us, and that we all generate: the heartbeat, the breath, footfall on tarmac, thousand of hands clapping in celebration or anticipation…. Or an appeal to god, the roared or whispered syncopated appeal All-ah, chanted again and again through respiration, notes emerging in increasing frenzy until the very breath is inseparable from sound, and the being led into a state of trance."

Dirk Ufermann

Wertung Tanz:

 







 Fotos: Koen Broos