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Fakten zur Aufführung 

THE WHO'S TOMMY
(Pete Townshend)
23. September 2012
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Sieh mich, fühl mich

Rockmusik auf der Theaterbühne bricht mit bekannten Hörgewohnheiten, auch wenn The Who's Tommy schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Selbst die Musical-Version stammt aus den frühen 1990-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch auch sie bietet in bester The-Who-Manier elektrische Gitarren statt Violinen, einen feisten elektrischen Bass und das etwas unorthodoxe Hornspiel, das John Entwistle in die Rockmusik mitbrachte. Tommy, oft als Rockoper bezeichnet, kommt trotzdem auch heute hervorragend an, denn die zeitlose Verlorenheit und Einsamkeit mancher Teenager, so Komponist Pete Townshend, steht dort im Mittelpunkt. Und selbstverständlich gefällt die unverwüstliche Musik Townshends in ihrer schlichten Schönheit und mit  fast fokloristisch simplen Melodien.

Die Handlung, emotional aus dem Übervollen schöpfend, ist an sich simpel und hat ein gutes Ende: Tommy ist, seitdem er einen Mord beobachtet hat, blind, stumm und taub, wird aber, nach harten Erlebnissen in seiner Kindheit, am Ende geheilt. Das Theater Bielefeld kostet die opulente Vorlage in seiner aktuellen Musicalproduktion voll aus.

Die Inszenierung von Götz Hellriegel, der auch für die Choreographien zuständig ist, verzichtet auf Experimente und lässt die Musik in ihrer schlichten Schönheit wirken. Hübsche, ein wenig historisch anmutende Kostüme erfreuen das Auge, und die eher schlichte Bühne mit dem aufklappbaren, spitzgiebeligen Haus im Zentrum, zwei Gestellen in ähnlichen Umrissen rechts und links davon und ein paar herabsenkbaren Flippern, alles von Dietlind Konold erdacht, machen eine absolut funktionale, liebevoll hergerichtete Bühne. Peter Lorenz taucht alles in ein stets unauffällig passendes Licht.

Philipp Dietrich als jugendlicher Tommy lässt nur manchmal lange Töne ein bisschen zu hart stehen, ansonsten gelingt ihm hier ein verblüffend leichter Tommy, der sich auffallend gut bewegt und in blütenweißer Kleidung kindliche Unschuld suggeriert. Zwei weitere, jüngere Darsteller –   Paul-Kolja Kordbarlag und Daniel Linde  – zeigen Tommy als vier- und zwölfjährigen Jungen, schweigend ein Spielzeughaus umklammernd. Auch der jugendliche Tommy hält noch das Papphaus fest, und seine tastenden, suchenden Griffe, als ihm das Spielzeug genommen wird, berühren. Im Trio sind die drei ein lyrisches, sanftes Gegenstück zur lebensnahen Inszenierung. Tommys Mutter, gesungen von Carina Sandhaus, überzeugt allerdings stimmlich nicht immer, denn manche Gesangseinlage kommt etwas steif und gedrückt daher. Tommys Vater, Alexander Franzen, jedoch ist stimmlich sehr gut besetzt, und seine herzliche, zugleich biedere Art, lässt einen ziemlich authentischen Familienvater in mittleren Jahren entstehen. Sehr schön. Onkel Ernie ist ein fieser Pädophiler, mickrig und lächerlich zugleich: Seine Spiele mit dem hilflosen Tommy bringt Carlos Horacio Rivas hervorragend auf die Bühne,  ein bisschen Hinken und die gewollt enge Stimme lassen ihn fast als Witzfigur erscheinen - wäre da nicht der sexuelle Missbrauch. Cousin Kevin ist ebenfalls gut gelungen, wenn vielleicht noch eine Spur zu brav: Nicky Wuchinger darf ein bisschen hinterhältiger sein, trotzdem gefällt der Sänger mit glaubhaftem jugendlichem Ungestüm und leicht swingender Anlage seiner Partie.  Brigitte Oelke als Acid Queen wird nach ihrem großen Solo in zerfetzten Nylons sofort mit stürmischem Applaus belohnt. Das ist gut so, dass hat sich die stimmgewaltige Sängerin mit der dezenten Soulnote schlicht verdient.

William Ward Murta sorgt mit seiner Live-Band für ordentlich flotte Abläufe, lässt aber ein bisschen die Dynamik schleifen.  Jede Menge gelungener Soli und saubere Ablösungen kitzeln das Ohr, das homogene Zusammenspiel adelt die Combo als sauber rockendes und zuverlässiges Ensemble.

Kaum ist der letzte Ton verklungen, hält es das Publikum nicht mehr auf den Stühlen. Mit stehenden Ovationen und minutenlangem Beifall feiert es The Who‘s Tommy. Die Zuschauer klatschen auch dann noch, als ein ganzer Reigen an Zugaben bereits verklungen ist. Ein bisschen Rockkonzertatmosphäre macht sich in Bielefelds Theater breit.

Wer  Tommy  mag, wer keine Berührungsängste zur mittlerweile klassischen Rockmusik von The Who hat, der kommt in Bielefeld voll und ganz auf seine Kosten. Wer es nicht mag, erlebt trotzdem einen liebevoll gemachten Abend mit sehr hohem Unterhaltungswert.

Heike Eickhoff

Fotos: Matthias Stutte