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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
8. März 2014
(Premiere am 22. Februar 2014)

Theater Bielefeld


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Aus der Rolle gefallen

Kalt, ganz kalt ist es auf der Bielefelder Bühne, wo Tosca gespielt wird. Kalt und leer. Von Rom ist nichts zu sehen und dementsprechend auch nichts von der diktatorischen Monarchie. Regisseur Sebastian Bauer und Bühnenbildner Michael Graessner zeigen in ihrer Inszenierung ein nicht näher bestimmtes System der der Kontrolle, das sich auch auf die Kunst auswirkt. In den beiden ersten Akten ist die Bühne schräg gestellt. Zuflucht findet der mit zerschmetterten Beinen herabkriechende Flüchtling Angelotti nur in einer Klappe im Boden. Die Bühne in Bielefeld ist durch weiße Wände eingerahmt, das die starken Beleuchtungseffekte von Peter Lorenz noch verstärkt.

Bei Bauer ist diese Tosca eine Sklavin ihrer Kunst. So beginnt er die Oper nicht direkt mit dem brachialen Scarpia-Motiv, sondern mit dem abgedunkelt oktavierten Vissi d’arte, das Tosca im Licht des Verfolgers in das Mikrofon haucht, ehe sie sich im Dunkeln verliert. Diese Sängerin Tosca läuft wie aufgezogen, roboterhaft auf die Bühne. Selbst die Eifersucht ist bei ihr ohne echtes Gefühl. Nur manchmal, da fällt sie aus der Rolle, tippelt wie ein kleines Kind zu ihrem Mario, um dann wieder in den gewünschten Gesten anzukommen. Kathi Maurer gibt dieser Tosca ein weißes Glitzerkleid und einen roten Mantel, dazu eine blonde Pagenkopfperücke. Unauffällig-auffälliger kann man das Objekt der Begierde nicht in Szene setzen.

Ihr Maler Cavaradossi ist ein Videoinstallateur der 1970-er Jahre. Auch er ist verhaftet in den gewünschten Gesten des Systems. Seine Hände formen vor den Augen den Rahmen der Kamera, als wolle er wie ein Visionär in die Zukunft schauen. Für seine gestückelte Madonna auf drei Fernsehern ist in Scarpias System kein Platz. Beim Te Deum zieht er einfach den Stecker raus. Sein Palazzo Farnese ist beherrscht von der großen Beleuchtungsanlage, die sich von oben gnadenlos herabsenkt.

An sich bietet dieses Konzept einen hochinteressanten Rahmen für eine spannende Tosca-Inszenierung, die sich nicht auf Konventionen ausruht. Doch wie so oft scheitert die psychologische Deutung an sich selbst. Denn die starre, sich dauernd wiederholende Gestik, die bedeutungsschweren Gänge, die kontaktlose Interaktion nutzen sich sehr schnell ab und unterlaufen damit alle Bemühungen um eine bedrohliche Atmosphäre. Das Kammerspiel verpufft besonders im zweiten Akt. Doch ein paar Bilder bleiben hängen. Etwa die kleine Tosca, gespielt von Alexa Maria Braisch, die beim richtigen Vissi d’arte der großen Tosca das Messer neben die Füße legt, mit dem Scarpia getötet wird. Im dritten Akt befreit sich Tosca für einen kurzen Augenblick aus der Rolle der Diva, legt Kleid, Perücke und Schminke ab. Doch ihr Ende ist auch ohne Sprung schrecklich. Zuschauer stürmen auf die Bühne, zwängen sie zurück in ihre Rolle und so schreitet sie unter Beifall und geworfenen Blumen gebrochen zurück an die Rampe.

Nicht nur diesen Moment stattet Soojin Moon mit beeindruckender Intensität aus. Ihre darstellerische Präsenz ist fast sogar noch greifbarer als ihr vokaler Ausdruck. Wünsche bleiben bei dieser Sängerin nicht offen. Da stimmt die lyrische Leichtigkeit, aber auch der dramatische Ausbruch. Ebenso scheut sie in wenigen Momenten auch nicht den deklamatorischen, theatralischen Effekt. Die Reise nach Bielefeld lohnt sich umso mehr, weil auch Paul O’Neill seinen Cavaradossi mit herzlicher Leidenschaft ausstattet. Seine beiden Arien serviert er mit großem Stilempfinden, und auch in den erwarteten Spitzentönen wie in den Victoria-Rufen enttäuscht er nicht. Großes Kompliment an das Besetzungsbüro, das so ein glückliches Händchen bewiesen hat. Den beiden kaum nachstehend, erweist sich Evgueniy Alexiev als charismatischer Scarpia, der sich mit der Bewältigung der hohen Tessitura etwas schwerer tut. Auch der Rest der Besetzung tritt sehr souverän auf. Angefangen bei Marc Coles als Messner, über den voluminösen Moon Soo Park als Angelotti bis hin zu Sarah Davidovic als Hirte. Lediglich aus dem Spoletta kann man etwas mehr rausholen als Lianghua Gong.

Die kurzen, aber wichtigen Auftritte des Chores absolviert sowohl der Kinderchor, die Chorinis, einstudiert von Shaya van den Berg, als auch der von Hagen Enke geleitete Chor-und Extrachor überzeugend. Sehr plastisch interpretieren die Bielefelder Philharmoniker Puccinis ergreifende Musik. In der dritten Vorstellung fehlt den Bläsern stellenweise die Politur, und auch der gesamte Klangkörper lässt etwas die nötige Italianità vermissen. Doch die spannungsreiche Interpretation von Alexander Kalajdzic hinterlässt großen Eindruck – selbst wenn er die Dezibel etwas mehr kontrollieren könnte. Das Publikum ist entweder überrascht oder überfordert. Eisiges Schweigen herrscht im Zuschauerraum. Am Ende werden die Sänger gefeiert. Beim Verlassen des Theaters geben sich die Anfänger zu erkennen: „Das war meine erste Oper und wohl auch meine letzte.“ Oper ist eben eine ganz eigene Kunst.

Christoph Broermann







Fotos: Bettina Stöß