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Fakten zur Aufführung 

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)
11. Februar 2012
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Nach der Premiere

Helen Malkowsky spricht mit Franz R. Stuke über die Vielschichtigkeit einer Aufführung, die das Publikum trotz westfälischer Zurückhaltung begeistert (2'09).


 

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The Rolling Sea

In Bielefeld ereignet sich „Welt-Theater“. Im Rhythmus der brutalen, lebensgebenden, todbringenden See kämpft ein Außenseiter mit sich selbst, zerstört Leben; eine Dorfgemeinschaft streitet um kollektive Werte, findet fragile Identität in der Ausgrenzung eines Unangepassten.

Helen Malkowskys packend-reflektierende Inszenierung macht existentielle Bedrohungen permanent lastend nachvollziehbar, zeigt Menschen in Grenzsituationen, interpretiert Brittens Kultur-Kritik als hoffnungslosen Kampf im Ablauf der Gezeiten.

Dem fulminanten Chor unter Leitung von Hagen Enke kommt die tragend-deutende Rolle zu. Er verkörpert  die aggressive Gesellschaft wie die rolling sea– mit den hektischen Aufwallungen, der täuschenden Ruhe, den mörderischen „Spritzern“. Über mehr als zweieinhalb Stunden agieren unbegriffen individuelle, außengesteuerte Subjekte in unterschiedlichen Konstellationen. Sie demonstrieren Egoismus, Rechthaberei, Sexismus, Trunksucht, ideologische Verbohrtheit, hoch konzentriert kollektiv und stimmlich als sechzig Solisten artikulierend.

Und die superben Gesangskünstler vervollkommnen das hoch bedeutungsvolle Drama. Mit Peter Bronder ist ein ungemein intensiver Peter Grimes zu erleben, ergreifend in seiner Darstellung der Ambivalenzen von Aggressivität und Selbstmitleid, stimmlich mit differenzierter Ausdruckskunst – ein Britten-Sänger der Extraklasse.

Jacek Strauch gibt dem Balstrode voluminöse Kraft, interpretiert einen konsequent-ethischen Charakter mit hochgradiger stimmlicher Kompetenz. Sarah Kuffners verständnisvoll-emphatische Ellen überzeugt mit dem bravourösen Wechsel von dramatischen Höhen und lyrischen Passagen.

Ceri Williams gibt eine kraftvolle Auntie mit ihren animierend-selbstbewussten Nichten Cornelie Isenbürger und Christina Linke. Michael Pflumm artikuliert den fanatischen Poles mit schneidender Schärfe, Jacek Janiszewski gibt dem moralisch indifferenten Bürgermeister prononcierte Stimme. Torben Jürgens beeindruckt als dienender Hobson mit substanziell überzeugender Stimmkraft, Xenia Maria Mann karikiert eine  Ms Sedley mit darstellerischer Selbstverleugnung, Reto Raphael Rosin verleiht dem scheinheiligen Pastor fundamentale Stimme und Daniel Billings brilliert darstellerisch und stimmlich als undurchsichtiger Apotheker. Die comprimari vervollständigen ein großartiges Ensemble.

Die so suggestive Britten-Musik mit ihrem emotionalen Grundton wird von den hochmotivierten Musikern der Bielefelder Philharmoniker adäquat in Tone umgesetzt. Unter der äußerst umsichtigen Leitung von Alexander Kalajdzic entfalten sich kommentierende Passagen intensiver Streicher und subtiler Flöten mit perfektem Blech, steigern sich zu formidablen Crescendi, versinken in reflektierende Piano-Passagen – und bewegen sich im Rhythmus der never ending rolling sea, musikalisch intensiv, kommunizierend mit dem faszinierenden Bühnengeschehen.

Saskia Wunsch baut mit den Möglichkeiten der Bühnentechnik kommunikativ-inspirierende Spielräume, präsentiert imaginäre plakative Projektionen, schafft mit bühnenfüllenden beweglichen Elementen interpretationsstiftende Konstruktionen, imaginativ und für das Publikum stimulierend.

Das Premieren-Publikum ist nach kurzer Einfühlungsphase gebannt vom Bühnengeschehen, von den Solisten-Leistungen, von der Opernimagination. Jubelnder Applaus am Schluss, standing ovations partiell – der Ostwestfale ist auch Jahre nach dem Bielefelder „Opernwunder“ immer noch skeptisch, scheut sich, Zustimmung offen raus zulassen.

Franz R. Stuke

 

Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert