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Fakten zur Aufführung 

GIOVANNA D'ARCO
(Giuseppe Verdi)
12. Oktober 2013
(Premiere)

Theater Bielefeld


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Engel oder gottlose Hexe

Die Inszenierung dieser selten gespielten Verdi-Oper, 1845 in Mailand uraufgeführt, beantwortet die Titelfrage überraschend klar: Sabine Hartmannshenn zeichnet die Giovanna D`Arco, ein italienisches Bild der Joan d‘Arc als religiös verzückte Heilsfigur, der jegliches Böse fremd ist. Ob dies dem Libretto von Solera oder der Urtextfassung zuzuschreiben ist, bleibt offen. Die Bielefelder Inszenierung bringt eine Reihe von Problemen, die den Zugang zu dieser frühen Verdi-Oper erschweren. Der religiöse Rigorismus einer Zeit um 1460, als Herrscher sich noch „von Gottes Gnaden“ verstanden, wirft heute, wenn er ungebrochen auf die Bühne kommt, Fragen der Glaubwürdigkeit auf und erschwert dem Besucher den Zugang. Was soll er mit einem inneren Dilemma der Giovanna „zwischen Patriotismus, Reinheit und Frauwerdung“ anfangen?

Auch Anna Netrebko, die diese Rolle in Salzburg singt, betrachtet das Libretto als „total unhistorisch“ und schlichten „Nonsens“. Wenn der Vater seiner Tochter Giovanna insistierend die Frage nach ihrer „schändlichen Liebe“ stellt, um sie dann der Gotteslästerung zu bezichtigen und als „verstörte Seele“ zu brandmarken, sieht sich der Zuhörer moralischen Maßstäben gegenüber, denen zu folgen ihm schwer fällt und die den Handlungsverlauf beschädigen. Wenn dann noch diese verzückte Giovanna mit einer blau-lieblichen Marienstatue herumläuft und im Schlussbild ein bunt glitzernder Kranz „Santa Giovanna“ mit Heiligenschein von der Decke auf sie herabschwebt, fragt sich der Betrachter: Kitsch oder doch Ansatz einer offenen Deutung oder von Ironie ?

Stefan Heinrichs hat die Bühne mit einem großen beweglichen Käfiggitter ausgestattet, das, nach oben und unten beweglich, mal als Gefängnis, mal als Palast unterschiedliche Assoziationen weckt. Mit den Farben blau und rot des damaligen Frankreich geht Heinrichs verschwenderisch um, baut im Schlussbild der Heiligen Giovanna gar einen nationalen Altar. Die immer wieder aufleuchtenden Flaggen des Königshauses bringen die nationale Euphorie ergänzend zur religiösen Verzückung auf die Bühne. Geschickt und gelegentlich beängstigend „nahe“ wirken die riesigen Portraits einer entrückten Giovanna, deren Blicke sich längst in einem phantastischen Jenseits fest gemacht haben. Susana Mendoza geht bei den Kostümen mit Farben sparsam um. Chor und Statisten bleiben durchweg gedeckt grau, auch die Protagonisten Carlo VII und Giacomo treten meist in grauen Gewändern auf. Giovannas Outfit erinnert stark an die behelfsmäßige Kleidung nach dem Zweiten Weltkrieg, als Blümchenkleider in gedeckten Farben der einzige „modische“ Luxus waren.

Der national-religiös überhöhte Altar der „Santa Giovanna“ im Schlussbild erlaubt mehrere Deutungen: den mäßig gelungenen Versuch, ein mehrdeutiges historisches Ereignis auf die Bühne zu bringen, die bunt-glitzernde Ironisierung einer entrückten religiösen Verzückung oder schlicht den Griff in die Kiste des alltäglichen Bühnenkitsches.

Astrid Keller spielt die Giovanna, zart von Statur und mit zu Beginn leicht zerbrechlichem Sopran sehr zurückhaltend, fast schüchtern, es fällt schwer, ihr das Schwingen des Schwertes abzunehmen. Gleichwohl bleibt ihre Giovanna glaubwürdig, in ihrer Naivität echt, ihre Sopranstimme in vielen Partien berührend ausdrucksstark. Dabei hat sie neben den beiden kräftigen Männerrollen des Giacomo und König Carls VII durchaus einen schweren Stand. Paul O`Neill hat zu Beginn Mühe, die Figur des Carlo, des letzten Königs aus dem Hause Valois darstellerisch und stimmlich zu füllen. Erst in der zweiten Hälfte des Abends erreicht seine technisch versierte Tenorstimme einen füllenden Klang. Das wird besonders gegenüber dem Vater Giacomo deutlich, dessen Bariton von Evgueniye Alexiev schon bald die Sympathien des Publikums gewinnt. In zwei Nebenrollen ergänzen Lianghua Gong, Tenor, als Delil und Moon Soo Park, Bass, als Talbot das Solistenensemble.

Auch bei diesem frühen Verdi-Werk hat Alexander Kalajdic keine Mühe, mit den Bielefelder Symphonikern und dem Chor und Extrachor des Theaters Bielefeld authentische Verdi-Klänge auf die Bühne zu bringen. Schon in der Ouvertüre zeichnen feine, aus dem Pianissimo anwachsende Klänge, die sich bis zu effektvollem Schlachtenlärm steigern, die emotionale Breite dieser Oper. Chor und Orchester zeigen schon in dieser frühen Komposition, deren Klänge vom fröhlichen Marsch in die Schlacht bis zu religiös-verinnerlichten Passagen reichen, die klangliche Breite und die emotionale Intensität der Musik Verdis.

Ein begeistertes Publikum bedankt sich vor allem für die musikalischen Leistungen dieses Abends und zögert nicht, Astrid Kellers Giovanna und Giacomos Bariton mit Bravorufen hervorzuheben.

Horst Dichanz

Fotos: Bettina Stöß