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Fakten zur Aufführung 

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauß)
19. Januar 2013
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Die Maskerade der Wirklichkeit

Das Haus steht schief, auf der Bühne tummeln sich reichlich schräge Vögel, eigentlich ist die ganze Welt aus dem Lot - zumindest in der Wiener Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die Johann Strauß in einer seiner bekanntesten Operetten aufs Korn nimmt. Er selbst, Kind und Teil dieser verrückten Gesellschaft, blickt von der Wand mit undurchdringlichem Blick auf die Szene, in der eben alles ein wenig schief hängt. Mit dem einfachen Mittel, die Fenster, die Türen, die Welt etwas aus dem Lot aufzuhängen, hat Kathrin-Susann Brose das passende Bühnenbild für diese schräge Gesellschaft geliefert, dem sie nur einige Versatzstücke für die einzelnen Szenen hinzufügen muss. Marlis Knoblauch unterstützt mit zeitgemäßen, häufig schrillen Kostümen den schiefen Eindruck dieser Welt, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Die schrillste Figur in dieser ver-rückten Welt: Cornelie Isenbürger als Adele/Olga, eine herrliche Mischung aus Möchte-Gern-Dame, Berliner Göre und Lady Gaga - umwerfend. Diese Gesellschaft hat an sich selbst genug, wirklich, Hauptsache, es gibt genügend Feiern und Bälle. Auch in den Rollen ist nicht alles klar geordnet, beliebte Verwechselspiele gehören dazu. Wer ist Schauspieler, wer Zuschauer - eigentlich spielt hier jeder mit. Helen Malkowsky treibt in dieser Inszenierung die Entgrenzung auf die Spitze und verlagert Szenen und Auftritte ins Publikum, bittet im zweiten Akt auch die Zuschauer auf die Bühne. Als dann 20 - 30 Personen auf der Bühne stehen, wissen weder die Zuschauer noch die Schauspieler, was sie mit einander tun sollen – was nun? Die nicht zu Ende gedachte Idee führt in Verbindung mit der eigenen Textfassung dazu, dass Bühnengeschehen und Handlung allmählich der rote Faden abhanden kommt und die Spannung steil abfällt. Das gilt noch mehr für den dritten Akt, wäre da nicht die Figur des Gefängnisschliessers, der, als Spaßmacher angelegt, breit ausgespielt wird. Der Gefängniswärter ist mit der Aufgabe, die Alkoholvorräte seines Direktors Frank zu „beseitigen“, sichtlich überfordert. Die Spiellust von John Wesley Zielmann rettet diese Szenen und versprüht befreiende Komik. Auch wenn manche aktuelle Anspielungen ganz witzig wirken, etwa wenn Eisenstein sich wegen eines kleinen Steuervergehens ans Aktenvernichten macht, wird der rote Faden immer dünner. Einige ältere Besucher verlassen in der ersten Spielpause das Theater. Auch die wundersamen Einfälle für einen „knallbunten Abend“, die in der zweiten Pause mit Dui-Du und Tralala die Besucher in die Foyers locken, wirken aufgesetzt und nicht fertig…

Gut, dass sich die Zuhörer auf die beschwingte Musik von Johann Strauß und die erfreulich besetzten Gesangspartien verlassen können. Cornelie Isenbürger bringt mit überschäumendem, teils überspielten Temperament und einem fröhlich bunten Sopran eine Adele alias Olga auf die Bühne, die zu den besonders farbigen Tupfern der Aufführung zählt. Melanie Kreuter, Sopran, singt und spielt ihre Frau Eisenstein zwischen seriöser Diva und hysterischer Ehefrau, Michael Pflumm als von Eisenstein kann dessen Unsicherheit stimmlich und darstellerisch herrlich spielen. Der Gefängnisdirektor Frank, Bass, und Levent Barkici, Bariton, als Notar Dr. Falke setzen dunklere Kontrapunkte unter die Gesangsstimmen, die alle in Straußscher Musik munter mitschwingen.

Schon mit der fröhlich-fetzigen Ouvertüre haben Witolf Werner und die Bielefelder Philharmoniker den Geschmack vieler Besucher getroffen. Sie erweisen sich im Laufe des Abends als Rückgrat der Aufführung und entschädigen in einigen Phasen die Zuschauer für überlange Textpassagen. Johann Weiß, E-Gitarre und Anastasiya Shkinderava, Akkordeon, geben den Operettenklängen zusätzlich eine moderne Note. Das etablierte Premierenpublikum bedankt sich freundlich für das Wiederhören der beschwingten Walzermelodien, aus dem Rang gehen einige nicht zu überhörende Buh-Rufe an die Adresse von Helen Malkowsky und ihr Regieteam.

Fast scheint es, als habe sich der Portraitblick von Johann Strauß am Schluss dieses Operettenabends ein wenig verdunkelt…

Horst Dichanz

Fotos: Bettina Stöß