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Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
(Peter I. Tschaikowsky)
4. April 2013
(Premiere am 9. März 2013)

Theater Bielefeld

Points of Honor                      

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Das, was nicht gesagt wird

Tatjana verliebt sich in Eugen Onegin und schreibt ihm einen Brief mit ihren Gefühlen darin. Auch Onegin hat einen Brief für Tatjana vorbereitet. Doch bevor er ihn übergibt, bekommt er Angst vor den Folgen, und er zerreißt ihn wieder. Was er fühlt, bleibt unausgesprochen. Eine kleine Szene sagt viel über den Eugen Onegin aus, wie Lotte de Beer ihn in Bielefeld sieht. Dieser gefühlskalte Mensch, der hochaufgerichtet im kalten Scheinwerferlicht mit dem Rücken zum Publikum steht, als wolle er auch dem Zuschauer nichts sagen, der sich von der Provinz, die er so verachtet, wieder nach vorne treiben lässt. Und immer wieder führt das, was er nicht sagt, zur nächsten Falle in seinem Leben. Der Kunstgriff der Regisseurin folgt im Finale. Da, wo sich Onegin und Tatjana zum letzten Mal wieder begegnen sollten, verstecken sich beide in einen Meer aus Briefen. Das leidenschaftliche Gespräch sind Splitter eines Briefwechsels. Die mitleiderregenden Reaktionen der Leser gehen ins Leere. Der Abstand macht es für Tatjana natürlich leichter, die Stimme in ihrem Herzen zu besiegen und Onegin endgültig abzuweisen. Den Mut, ihm nochmals gegenüber zu stehen, hat sie nicht. Onegin bleibt alleine im Papier zurück, seine Erinnerung an eine verlorene Liebe, seine Erinnerung an den erschossenen Freund und Poeten Lenski. Dieses Regiekonzept ist in seiner Geschlossenheit sehr beeindruckend und vor allem selbsterklärend, ohne dass man etwas im Programmheft darüber nachlesen müsste. Es sagt viel über die Figuren aus, ohne dem Zwang zu verfallen, neues über die Oper erzählen zu wollen. Zugleich regt Lotte de Beer damit die Diskussion darüber an, welches Wort mächtiger, besser ist: Das gesprochene oder das geschriebene.

Die Kostüme von Marouscha Levy geben den Personen die optisch passende Bekleidung, die sie in die Gesellschaft einordnet. Auch ihr Bühnenbild sagt viel aus, ohne ein richtiges Bühnenbild zu sein. Ein Haufen alter Möbel, Tische, Stühle symbolisiert den Gutshof der Larina, der einzige Ort, der in Onegins Erinnerung später noch von Bedeutung sein wird. Nach der Pause, vor der Duellszene, wird alles leer. Und selbst Henk van Geest dimmt das Licht von da an deutlich herab, wo er vorher stimmungsvoll die Tageszeitenwechsel ausgeleuchtet hat. In der Personenführung hätte de Beer ein paar Punkte deutlicher, andere gar nicht sagen müssen. Da stellen sich Lenski und Olga auf einen Tisch, um sich zu küssen, was natürlich in der Wohnung der Mutter alles andere als natürlich wirkt. Um Leben auf die Bühne zu bekommen, müssen zwei Arbeiterinnen das gesamte Mobiliar zusammenschichten. Und in anderen Fällen parkt de Beer die Personen einfach mal am Rand, weil sie gerade nicht weiß, was diese zu sagen haben. Aber das sind nur ein paar Zeichensetzfehler in einer poetisch-ausgefeilten Konzeption. Der kluge, lebendige und völlig ungekünstelte Umgang mit dem Chor beweist ihr handwerkliches Geschick auf der Bühne. Ebenso auch der Einsatz eines Onegin-Doubles, der in der Polonaise das sagt, was der unbewegliche Sänger im Scheinwerferkegel nicht zeigen will.

Die Sänger nutzen ihre Möglichkeiten, dass auszudrücken, was Tschaikowsky ihnen an menschlichen Emotionen, an unterdrückten Leidenschaften vorgelegt hat. Man kann es kurz machen und sagen, dass sich das Theater Bielefeld in einer intensiven Geschlossenheit präsentiert, die über alle kleinen Unebenheiten in Gesang und Musik hinwegwischt. Doch das wäre zu wenig. Gelobt werden muss der Bielefelder Opernchor, den Hagen Enke auf den Punkt vorbereitet hat. Den sehr geschmackvoll singenden Frauen hört man ebenso gerne zu wie den präsenten Männerstimmen. Aus der durchweg sehr gut besetzten Riege der kleinen Rollen ragt Lianghua Gong als Triquet heraus. Vladimir Miakotine reicht die eine Arie des Gremin, um zu überzeugen. Melanie Forgeron muss sich als Olga dafür schon etwas mehr ins Zeug legen. Sünne Peters ist eine starke Filipjewna. Den vokal besten Eindruck hinterlässt Daniel Pataky als Lenski. Nicht nur mit einem berührenden Kuda, kuda sondern auch mit der Verwandlung vom verliebten Schwärmer zum zornentbrannten Heißsporn. In Sarah Kuffners Sopran kommen ihr verletztes Herz, ihre enttäuschten Gefühle bestens zum Ausdruck. Diese Tatjana ist einfach glaubwürdig, und das nicht nur in der souverän bewältigten Briefszene. Levent Bakirci hinterlässt in einem spannenden Onegin-Portrait Fragen. Sein etwas monochromer Bariton bewältigt die Partie mit Klasse. Doch schauspielerisch hat er sich den abweisenden Mann etwas zu sehr zu Eigen gemacht. Ab und an bekommt man das Gefühl, dass er sich aus dem Geschehen etwas ausklinkt, was einem Pausieren von der Rolle gleichkommt.

Das Spiel der Bielefelder Philharmoniker verschlägt einem fast die Sprache. Was auf der Bühne nicht gesagt wird, das wird gnadenlos von den Instrumenten offen gelegt. Es ist auch der Abend der ersten Kapellmeisterin Elisa Gogou. Mit großem Schlag entfesselt die kleine Dirigentin einen wahren Sturm der Gefühle. Da fehlt es in der Musik weder an tänzerischer Leichtigkeit, weder an der herbeigesehnten Romantik, noch an dramatischen Akzenten. Ab und an gehen den Philharmonikern die Zügel etwas durch, und es ist eine Spur zu laut. Auch das Publikum hat natürlich etwas mitzuteilen, manchmal zu viel, manchmal auch zu wenig. Der Applaus fällt zwar schon weit über dem Pegel der üblich ostwestfälisch-gedämpften Begeisterung aus, ist aber der Leistung immer noch nicht angemessen. Beim Einsatz der Musik nach der Pause haben sich einige Besucher noch einiges zu sagen: „Oh, das ist ja viel Nebel… Jetzt wird es düster…. Achtung, gleich kommt der Schuss.“ Nach der Vorstellung sind die Aussagen besser, sowohl zeitlich als auch inhaltlich: „Die Hörner waren Klasse.“ Mehr muss nicht gesagt werden.

Christoph Broermann

 





Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert