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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
15. Oktober 2011
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Leben im Zwielicht

Don Giovanni ist ein gewalttätiger Psychopath, der Komtur ein manischer Sekten-Beherrscher, alle Figuren werden von Giovanni bedrängt und gequält, Leporello ist der gefährdete Psychotherapeut. Aber Helen Malkowsky inszeniert weder das Innenleben eines Kuckucksnests noch ein Psycho-Drama: Sie präsentiert vielmehr ein Kaleidoskop traumatischen Wahnsinns – alle sind besessen von Schuld und Leidenschaft, von Sex und Selbstzweifel - hilflos brutaler Kontrolle ausgeliefert. Im Fokus stehen die Untaten des Giovanni, gipfelnd im Missbrauch eines Lolita-Kindes. Am Ende bleibt die vollzogene Rache mittels Nerven-Pillen und Elektro-Schocks, ein total orientierungsloser Giovanni und eine zerquälte Gruppe von Menschen, die verzweifelt nach Perspektiven sucht.

Harald B. Thors schwarze Bühne zeigt hermetische Wände mit Ausblicken in dahinter liegende, ebenso hermetische Räume – die beklemmende Metapher für absolute Ausweglosigkeit.

Die Eingangsszene mit der Freudschen Couch aufgreifend, kleidet Tanja Hofmann die Protagonisten in bürgerliche Kostüme des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Alexander Kalajdzic gelingt mit den konzentriert aufspielenden Bielefelder Philharmonikern eine intensive Mozart-Interpretation: Da wechseln die Tempi im Kontext der dramatischen Entwicklung, da stürzen klangperfekte Tutti wie Explosionen in scheinbar idyllische Passagen, da stimmt die so diffizile Dynamik, da korrespondieren Musik und Bühnengeschehen kongenial!

Mit Daniel Billings besteht ein äußerst variabler Bariton seine „Feuertaufe“: darstellerisch faszinierend, die abrupten Gemütslagen des Psychos intensiv ausspielend, stimmlich jederzeit konzentriert, mit überzeugender Intonation in allen Lagen! Torben Jürgens  gibt dem „heilen-wollenden“ Leporello ambivalente Figur, besticht mit variantenreicher durchsetzungskräftiger  Stimme. Jacek Janiszewski beeindruckt mit enormer Stimmkraft als technokratisch rächender Komtur. Eric Laporte verleiht mit seinem charaktervollen Tenor dem drohend-hilflosen Ottavio wirksame Stimme. Um Melanie Kreuter – mit einer ergreifend-verunsicherten Donna Anna und hinreißenden Phrasierungen, Melanie Forgeron – als hin- und hergerissene Elvira mit ungemein starken aggressiven Passagen – und Cornelia Isenbürger als kapriziös-verführbare Zerlina mit ziselierter Coloratur-Sicherheit – müssen sogenannte  „große“ Häuser das lebendige Bielefelder Theater beneiden! Nicht zu vergessen: Peter Maruhn als gescheiterter gradliniger Masetto mit seiner kräftigen Intonation! Und: Der sich nahezu exhibitionistisch präsentierende Chor als perfekt singendes Klang-Kollektiv unter der Leitung von Hagen Enke.

Im Auditorium herrscht über drei Stunden gespannte Aufmerksamkeit - doch beim fulminanten Schlussapplaus für Sänger-Ensemble und Orchester mischen sich brachiale Buhs gegen das Regie-Team: Das hat schon aus der dreißig Jahre zurückliegenden Zeit des „Bielefelder Opern-Wunders“ Tradition. Ist weniger als Missfallen zu erklären, als vielmehr als Revitalisierung des Begreifens von Oper als kontroverse Auseinandersetzung  mit Krisen und ihren innovativen ästhetischen Mitteln!

Franz R. Stuke






 
Fotos: Matthias Stutte