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Fakten zur Aufführung 

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
15. Dezember 2013
(Premiere am 7. Dezember 2013)

Theater Bielefeld


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Paarerfahrungen im Club Catarsi

Gut eine Woche vor der Premiere meldet sich auf der Facebook-Seite des Theaters Bielefeld eine Dorabella zu Wort: „Ich habe ein kleines Problem. Mein Mann und ich lieben uns sehr, aber manchmal hab ich das Gefühl, wir kennen uns gar nicht richtig. Ich trau mich nicht, mit ihm drüber zu reden, weil er in mir vielleicht grade das liebt, was er in mir sieht und ich ihn sonst enttäusche. Habt Ihr so was schon mal erlebt? Habt ihr schon von dem ‚Club Catarsi‘ gehört?“

Vor der Ouvertüre liegt er für die Zuschauer schon offen: Der Club Catarsi, den Susanne Scheerer als Einheitsbühne für das Theater entworfen hat – lokale Ähnlichkeiten sind sichtlich erwünscht. Auch die Ähnlichkeit von Catarsi mit dem griechischen Katharsis – Reinigung, als Pendant zur Aufklärung – scheint gewollt. Dementsprechend beginnt noch vor der Musik die Handlung: Ein bisschen Saubermachen nach der letzten Party. Ein Dirigent nimmt Platz vor der hauseigenen Musikergruppe – natürlich im Orchestergraben. Das Motto des letzten Abends – Schaumparty – wird ausgetauscht mit dem Hinweis „Così fan tutte – ein Abend für Paare“. Die betreten nacheinander, während aus dem Orchestergraben schon die Musik Mozarts heraussprudelt, etwas betreten den Club, in ihren Gesichtern liest man ganz offen Unbehagen, Neugierde… Was wird mich hier erwarten? Die Clubbetreiber, ein Herr namens Alfonso und eine Dame für alle Angelegenheiten, die sich Despina nennt, geben ihnen nicht nur neue Identitäten: Dorabella, Ferrando, Guglielmo und Fiordiligi. Auch neue Bekleidung gibt es von der Stange, die alte wird mahnend an die Garderobe gehängt. Keine Schwestern, keine Offiziere, kein Neapel – eine inszenierte Selbsterfahrung, wie man sie aus dem angeblichen Reality-TV kennt, bringt Regisseurin Julia Hölscher auf die Bühne.

Alles gehört irgendwie zu diesem Paarabend dazu, und die vier jungen Menschen spielen halt mit, wofür man bezahlt hat. Ein paar Statisten sind auch eingeladen, die vorgeben, die beiden Männer in den Krieg zu holen, indem sie die Fahnen von Nordrhein-Westfalen und dem Fußballclub Arminia Bielefeld, der zeitgleich sein Heimspiel bestreitet und 4:1 gewinnt, schwenken. Die Damen sind erst verunsichert, dann empört, wenn ihnen der Herr der anderen Frau in aufgesetzter Verkleidung den Hof macht, dann beruhigt, schließlich ist ja alles nur ein Spiel. Man spielt beispielsweise Doktorspielchen und mit den Halluzinationen als Folgen des versuchten Gift-Selbstmordes: Der Chor wuselt in Tiergestalten über die Bühne und macht sich über das Buffet her. Später setzt er sich mit Zweigen am Körper auf Klappstühle und wiegt sich wie im Wind hin und her. Und aus dem Spiel wird nach und nach bitterer Ernst, und genau das passt so gut zu Mozarts Così fan tutte und seinem so gar nicht schönen Endergebnis, das viele zu Unrecht als Frauenfeindlichkeit auslegen.

Es gibt einiges zu lachen in der sehenswerten, unverkrampften Inszenierung, aber am Ende muss man die Desillusionierung der Paare, die sich in ihre alte Kleidung zurückkämpfen und doch nicht zu sich selber finden, ganz hautnah erleben. Es ist ein wirklich interessantes Konzept, das Julia Hölscher und Dramaturgin Fedora Wesseler auf die Beine gestellt haben. Allerdings funktioniert es nur mit sehr starken Kürzungen in den eigentlich so sinnvollen Rezitativen von Lorenzo DaPonte. Auch an der Musik wird etwas gespart. Trotzdem erlebt man vor allem im sehr gut disponierten Orchester einen sehr schönen Mozart, weil der aufmerksame GMD Alexander Kalajdzic die Musik passend zur Szene forsch und frisch interpretiert. Wenn es im Orchester ruhig wird, hat das seinen Grund. Der doppelte Boden des Stückes, wo man unter der kichernden Heiterkeit der Achtelläufe den tragischen Ton vernimmt, wird gut umgesetzt. Arbeiten muss man dagegen – zumindest wenn es nach dem Eindruck der dritten Vorstellung geht – an der harmonischen Präzision auf der Bühne, wo besonders in den Duetten, Terzetten und Ensembles einiges nur vage angedeutet wird. Dennoch gibt es Sängerpersönlichkeiten zu erleben: Evgueniy Alexiev ist mit kräftigem Bass ein dominierender Spielmacher Alfonso. Cornelie Isenbürger hat für die Despina die nötigen stimmlichen Charaktereigenschaften parat: Charme, Witz und Leichtigkeit. Caio Monteiro besitzt als Guglielmo einen angenehm lyrischen Bariton, den er aber stellenweise etwas zu vorsichtig einsetzt. Daniel Patakys Ferrando singt ein etwas sehr hartes Italienisch, was er aber mit einem schönen Tenor und sicherem Stilgefühl wieder ausgleicht. Melanie Forgeron hinterlässt als Dorabella mit einem sehr warmen Timbre einen hervorragenden Eindruck, während sich die emotional gestaltende Christine Linke noch etwas in die Fiordiligi hineinfinden muss. Hoch professionell spielt sie im Finale weiter, nachdem sie in einer Auseinandersetzung mit Ferrando versehentlich kraftvoll gegen einen Stuhl geschlagen hat. Sowohl in seinen kurzen Chorstellen als auch in den vielen kleinen szenischen Einlagen bringt sich der von Hagen Enke einstudierte Chor gewinnbringend ein.

An diesem Sonntagnachmittag bietet das Theater Bielefeld für blinde oder sehbehinderte Gäste durch Kopfhörer einen Audiokommentar an, der ihnen das Geschehen auf der Bühne erzählt. Das ist ein wirklich sinnvoller Service, der zudem auch sehr angenehm für die Sitznachbarn umgesetzt ist, die von diesen Erklärungen so gut wie nichts mitbekommen. Der Applaus bricht so schnell nach dem letzten Ton an, dass die musikfreie Schlusspointe fast übersehen wird. Da stehen schon die nächsten zwei Paare bereit, die ihre Erfahrungen im Club Catarsi machen wollen.

Christoph Broermann







Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert