Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

CHESS - DAS MUSICAL
(Benny Andersson, Tim Rice,
Björn Ulvaeus)
25. September 2011
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Schach zwischen den Panzern

Zwei Schachspieler, zwei Nationen am Rande des Krieges und eine Frau bilden das Grundgerüst für das Musical Chess. Dem Theater Bielefeld gelingt es, die nicht ganz einfache Handlung verständlich auf die Bühne bringen. Ausgangspunkt dafür ist das wandelbare Bühnenbild von Duncan Hayler, der auch für die passenden Kostüme sorgt. Vier kleine Panzer auf Rollen demonstrieren von Beginn an die Situation des Kalten Krieges, der in dem Musical nicht nur historischer Hintergrund sondern Triebfeder ist. Gedreht und gewendet, offenbaren die Panzer je nach Szene aber auch Hotelbetten oder Zuschauerränge, so dass sie vielseitig einsetzbar sind, ohne ihre unterschwellige Bedrohung zu verlieren. Allerdings  kommen die Bühnenarbeiter doch etwas ins Schwitzen mit den Umbau-Sequenzen. Da wird  sich einiges in Zukunft noch mehr einspielen (müssen).

Die Drehbühne sorgt für zusätzlichen Sichtwechsel, und Transparente aus der Bühnendecke sind nicht nur Dekoration, sondern offenbaren zuweilen auch den ironischen Witz: So senkt sich zum ersten Schachturnier zwischen dem Amerikaner Trumper und dem Russen Sergievsky ein Plakat mit Eiszapfen herab, auf dem die beiden Sponsoren aufgeführt sind.

Central                                      Killer

Intelligent                                  Game

Amusements                              Boards

Doch platte Wortspiele sind längst nicht alles, was die farbenfrohe Inszenierung von Kay Kuntze zu bieten hat. Natürlich macht er, wie auch das Musical selber, keinen Hehl daraus, dass es hier weniger um den Sport Schach als um die Instrumentalisierung des Sportes und den Geheimdienst geht. Da wird kein Klischee der Spionage ausgelassen, und doch wirkt alles im Zusammenspiel mit der Musik äußert plausibel und nicht aufgesetzt. Die Choreographie des Chores und des tollen Tänzerensembles unter der Leitung von Götz Hellriegel wird nicht zum hopsenden Overkill, sondern sehr präzise und durchdacht eingesetzt. Genial ist das Beamten-Ballett im ersten Akt, besser kann man Bürokratie kaum darstellen. Die Personenführung ist auf den Punkt gebracht und wird kontinuierlich bis in den zweiten Akt gesteigert, wo das Schachturnier selber nur noch eine Randerscheinung ist. Statt dessen sind hier die Züge der beiden Geheimdienste KGB und CIA im Fokus der Regie, und das Finale wird zur historischen Rückschau: Von der Mondlandung bis zum Mauerbau sieht man prägnante Stationen des Kalten Krieges auf der Bühne.

Die wenigen Momente, wo es wirklich um zwischenmenschliche Gefühle geht, sind nicht weniger mitreißend, aber gleichzeitig sehr sensibel ausgearbeitet. Auch mit Hilfe der Beleuchtung von Gregor Fritz gelingen stimmungsvolle Momente auf der Bühne, zum Beispiel im Finale des ersten Aktes, wo der Russe Sergievsky in Gedanken an seine Heimat im Schneegestöber langsam verschwindet.

Die Personen sind musikalisch wie auch darstellerisch äußerst passend besetzt: Alex Melcher ist vom Typus wie auch von der Stimme her ein glaubwürdiger Frederick Trumper mit draufgängerischer Attitüde und wilder Rock-Stimme. Zu ihm ist Veit Schäfermeier als ruhiger  Russe Sergievsky ein passendes Pendant. Immer in sich ruhend, bietet er mit intensiver Ausstrahlung ein faszinierendes Rollenportrait, das auch stimmlich keine Wünsche offen lässt. Die hervorragende Roberta Valentini ist Florence Vassy, die Frau, die zwischen diesen beiden Männern und Ländern steht. Auch sie vermag mitzureißen, verleiht der Rolle auch viele undurchsichtige Züge, so dass ihre Absichten bis zum Schluss nicht offensichtlich sind. Die Comprimarii werden angeführt vom spielfreudigen Jens Janke als Schiedsrichter im weiß-grellen Future-Look. Daneben hat das Theater Bielefeld ein tolles Ensemble aufgefahren, das vom KGB-Agenten bis zur Reporterin rollendeckend agiert und singt. Der absolut spielfreudige Chor in der Einstudierung von Hagen Enke und Alexis Agrafiotis rundet das musikalische Erlebnis zufriedenstellend ab.

Die sehr gut disponierten Bielefelder Philharmoniker zeigen sich mal von ihrer anderen Seite, auch wenn das Musical längst nicht nur aus rockigen Melodien besteht. William Ward Murta lässt die zärtlichen Momente ebenso ausspielen, betont aber sonst vielfach die harte, militärische Rhythmik der Musik. Ihm und den Musikern gilt am Ende ebenso der frenetische Jubel des Publikums, das sich schon kurz nach dem letzten Ton von den Sitzen erhebt, wie auch den Sängern. Chess in Bielefeld ist unbedingt sehenswert.

Christoph Broermann






 
Fotos: Matthias Stutte