Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DEATH FRAGMENTS –
BÜCHNER, 23 YEARS OLD

(Tetsuo Furudate,
Edwin van der Heide)
16. April 2011 (Uraufführung)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Lost in fear

Büchners verzweifelter Todeskampf, vermittelt als existentielle Katastrophe: Tetsuo Furudates Komposition und der faszinierenden Sound-Installationen Edwin van der Heides gelingt ein emotionalisierendes Theaterereignis mit den Mitteln der Noise Music von atemraubender Intensität!

Elektronische Töne – unter anderem mit weiter entwickelten Formen des vom Kino bekannten Dolby Surround – werden in permanent variierenden Eruptionen zu Trägern verzweifelter innerer Stimmen – über bedrohliches Grundgeräusch zu verstörender Stille bis zu Crescendi schier unerträglichen Donnerns.

Büchners Glaubenszweifel, sein unerträgliches Leiden an seiner todbringenden Krankheit, seine Wahnsinnsfantasien, seine Phantasmagorien werden in den – auch physisch - kaum zu ertragenden Klangwogen zu einem erregenden Mit-Leiden am qualvollen Beenden eines genialischen viel zu kurzen Lebens.

Markus Karstieß stellt zwei Stühle vor die Wand der Laser-Bilder und eine starre Todes-Liege auf die Spielfläche - in ihrer realen Statik extrem konfrontierend mit den Laser-Flächen und im Nebel zerstiebenden Strahlen, den Disco-Effekt mysteriös verfremdend!

Die Texte Sigrid Maria Schnückels reproduzieren die Stimmen von Büchner-Figuren wie Lenz, Woyzeck, des Pfarrers Oberlin; aber auch Büchners Selbstreflektionen. Metaphern, innere Stimmen und imaginiert-reale „Naturtöne“ werden mittels hinreißender Klangkunst und verstärkenden Laser-Effekten zu einem geradezu magisch-bezwingenden Ereignis für assoziative Selbsterfahrungen aller Akteure – auch der rezipierenden!

Marcus Fisher artikuliert die Schmerzen, Reflexionen, Hass- und Verzweiflungsausbrüche Büchners mit erregender Leidenschaft, vermittelt Wortfetzen als Rudimente unaussprechlicher Qual, interagiert mit totaler Hingabe an die Rolle des „Leidensmanns“. Hanno Dinger als beschwichtigender Pfarrer Oberlin, Leif Elggren als kommentierender Erzähler, Sigrid Maria Schnückel als gemordete Marie, Stefan Imholz als distanzierter Dr. Schönlein, Charlotte Ullrich als beflissene Caroline und Miho Iwata als „Girl“ prägen die „schauspielerischen“ Handlungsmomente des so überwältigenden „Klang- und Licht-Kunstwerks“!

Die Noise Music erreicht im umgebauten Bielefelder Theater am Alten Markt von Minute zu Minute mehr ein total eingespanntes Publikum – im Parkett sorgen auf Gitterflächen gestellte Sitze für das physische Erlebnis des Rüttelns und Hämmerns, die akustischen Eruptionen erreichen den Herzrhythmus beeinflussende Grenzen. Aber: Diese Demonstration akustischer Kraft wird nicht als spektakuläre Provokation wahrgenommen, sondern als hochintensive Verstärkung eigener Assoziationen.

Über das Mit-Leiden an Büchners existenziellem Todeskampf fühlen ältere Zuschauer sich an Ängste zu Kriegs-Zeiten erinnert, andere assoziieren Erdbeben und Tsunami. „Experimentelles Musiktheater“ als Welttheater!

Franz R. Stuke

 







Fotos: Matthias Stutte