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Fakten zur Aufführung 

ALICE IN WONDERLAND
(Unsuk Chin)
8. Mai 2011 (Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Hörbeispiel 1

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie Melanie Kreuter mit einem Ausschnitt aus Alice in Wonderland.

 
 

Hörbeispiel 2

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie Eric Laporte mit einem Ausschnitt aus Alice in Wonderland.


 

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Hinab in das Kaninchenloch

Das ist schon eine Meisterleistung, die alle Akteure des Bielefelder Theaters da vollbringen, um die absolut komplexe Aufgabe der Realisierung von Unsuk Chins Alice in Wonderland mit höchstmöglicher Perfektion zu meistern.

Wie der musikalische Leiter Witolf Werner und sein Co-Dirigent Christian van den Berg mit den Bielefelder Philharmonikern Chins Partitur umsetzen und die Koordination zwischen Sängern und Musikern klappt, das ist toll - und schon gar nicht selbstverständlich bei den oft fein gearbeiteten Klangkonvoluten der südkoreanischen Komponistin. Auch die Tatsache, dass Regisseurin Helen Malkowsky das Orchester in den Hintergrund der Bühne verlegt, vereinfacht die Gesamtaufgabe wahrlich nicht.

Aber nicht nur das Orchester, sondern auch die Sänger bewältigen die Aufgaben ganz hervorragend: angefangen bei Hagen Enkes Opernchor, der ebenso präzise und gut vorbereitet agiert wie die „Chorinis“, der von Olga Kisseleva und Felicitas Jacobson angeleitete Kinderchor.

Und ausnahmslos alle Solisten geben ihr Bestes, um den Abend zu einem großen Erfolg zu machen. Gesungen wird auf einem hohen Niveau, Mehrfachrollen gewinnen auf wunderbare Weise je individuelle Gestalt: Dirk Mestmacher als Falsche Suppenschildkröte, Junger Adler und Fisch-Lakai ebenso wie Eric Laporte, der nicht nur die Geschichten erzählende Maus zum Erlebnis macht - und auch Kyungil Ko sowohl als Krabbe, Alter Mann und Herzkönig. Oder Torben Jürgens zum Beispiel als absolut sonorer, tief trauernder, aussterbender Dodo. Sünne Peters glänzt als irre Herzogin wie Sarah Kuffner als miese Herzkönigin. Countertenor Andrew Watts (schon bei der Münchener Uraufführung 2007 mit dabei) ist ein superängstliches Weißes Kaninchen, Daniel Billings ein herrlich verrückter Hutmacher. Bewundernswert wie Christiane Linke die schwierige Partie der immer verschwindenden Cheshire-Katze meistert. Merle Große-Tebbe ist eine erstklassige stumme Darstellerin der Alice, die Melanie Kreuter (mit Krücken bewehrt) völlig souverän singt – aber das hat wohl auch niemand von der Primadonna des Bielefelder Hauses anders erwartet. Wie Kreuter sich in den letzten Jahren im Ensemble eine große Rolle nach der anderen angeeignet hat – und das mit Können und ohne Hektik – ist das beste Beispiel für gelungene Ensemblepolitik. Da gebührt der Bielefelder Theaterleitung ein große Kompliment.

Helen Malkowsky inszeniert mit viel Sensibilität für Personenführung und tolle Bilder. Hermann Feuchter schafft auf dem mal hoch-, mal heruntergefahrenen Orchestergraben und der dahinter liegenden Hebebühne eine flexible, stufenartige Spielfläche. Henrike Bromber steuert fantasiereiche Kostüme bei, die echte Blickfänger sind.

Aber weshalb ist die Bielefelder Inszenierung der Alice in Wonderland dennoch keine durch und durch elektrisierende Performance? Das liegt gewiss auch am Libretto: Lewis Carrolls verschlüsselte, anarchisch-verwirrende Sprache (sein Roman erschien 1865) zieht beim Lesen sicher in ihren Bann. Aber auf der Opernbühne stellt sich bald ernüchternde Langeweile ein – vor allem ob der häufigen Wiederholungen, die dramaturgisch vielleicht ihre Berechtigung haben, aber dennoch ermüden. Auch schafft Chin es mit ihrer Partitur nicht, solche Mängel auszugleichen und den Spannungsabfall zu verhindern. Sie taucht diese Sprache in Musik, die rund zwei Stunden lang changiert zwischen Minimalismus, postmoderner Tonalität und gelegentlichen Versatzstücken aus dem Barock.

Was fehlt, ist die plausible Antwort auf die Frage, inwiefern all die Botschaften zum Thema Zeit, Katzen, Tulpenzwiebeln und die Herzkönigin mit den Zuhörern und Zuschauern wirklich etwas zu tun haben.

Ein Teil des Bielefelder Premierenpublikums zieht ratlos nach der Pause ein Glas Wein bei lauem Lüftchen in der Außengastronomie dem Fortgang der Oper vor. Alle aber, die geblieben sind, sind vom Geschehen auf der Bühne restlos begeistert und spenden großen Beifall. Man darf trefflich darüber streiten, wer mehr vom Abend gehabt hat!

Thomas Hilgemeier

 







Fotos: Matthias Stutte