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Fakten zur Aufführung 

YASOU AIDA
(Kharalampos Goyos)
19. Januar 2012
(Premiere)

Oper Neukölln, Berlin


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Deutsch-griechisches Freundschaftstreffen

Am 29. Januar melden die Nachrichten, ein EU-Kontrolleur solle eingesetzt werden, um über Griechenlands Haushaltsausgaben zu wachen. Eine Zeitung titelt sogar, Deutschland wolle nun wohl einen Gauleiter einsetzen, um die Griechen zu kontrollieren.

Nun ist also genau das eingetroffen, was die Oper Neukölln schon zehn Tage zuvor zum Gegenstand ihrer neuen Premiere Yasou Aida gemacht hat.

Wie so oft, ist die Neuköllner Oper zu klein für die großen Ideen, die sie transportieren will. Ein genialer Einfall im Prinzip: Aus Verdis Aida wird Yasou Aida. Unterworfen wird nicht Äthiopien durch die Ägypter, sondern Griechenland durch die Euro-Kolonialisten, verkörpert durch die Gangsterzentrale EZB - Europäische Zentralbank, Frankfurt.

Aida ist Elpida, eine Summa-cum-laude Absolventin ihres Auslandsstudiums in Deutschland, derzeit Trainee bei der EZB. Radames ist Rainer Mess, einer der EU-Sparkommissare. So weit so gut. Doch leider ist ihre Liebe behindert durch Misswirtschaft, Korruption und Währungshüter. Hier hören die Parallelen zum Aida-Stoff also bereits auf.

Weit und breit kein Nil und keine Elefanten. Kein Vollmond, keine Palmen, auch keine Pyramiden. Stattdessen praktische Umbaumöbel, die mal als Büroschreibtische, mal als Redepodeste oder gar als Barrikade herhalten. Für die Ausstattung zeichnet Andrea Nolte verantwortlich.

Bernhard Glocksin, Mitglied des Direktoriums der Oper Neukölln, erzählt, wie es zur Idee kam, Aida als Vorlage für die Probleme des heutigen Griechenlands zu benutzen. Er spricht von seiner Betroffenheit, als nicht nur Barrikaden, sondern auch Leute brannten. Es habe ihn interessiert, wie sich das anfühlt für die Griechen in ihrem Land. „Das Theater wollte sich der Problematik annehmen, Öffentlichkeit schaffen, obwohl die Fakten dadurch natürlich nicht beseitigt oder gemildert werden. Aber vielleicht kann man versuchen, die Vorgänge zu verstehen“, meint Glocksin. „Das Problem bei diesem Experiment ist ja: Kann man alte Stoffe überschreiben?“ Das Wagnis steht diesem agilen kleinen Haus in Berlin sehr gut zu Gesicht. Es ist stolz darauf, die vierte Oper in der Hauptstadt genannt zu werden, ein Motor, eine Kreativmaschine, die aus dem Widerspruchsgeist entstand, der traditionellen Opernhäuser für die „besseren Stände“ etwas Anderes, Selbstgemachtes - und gerade in einem Stadtbezirk wie Neukölln, entgegenzusetzen. Das stärkt den Rücken, das bringt Kraft für Wagnisse wie dieses.

Eine Delegation des Theaters fuhr also nach Griechenland, redete mit vielen Leuten und stellte peu à peu eine Koproduktion mit der Thessaloniki Concert Hall und The Beggars' Operas, Athen, auf die Beine. Man gewann den griechischen Superstar unter den Regisseuren, Alexandros Efklidis. Von ihm stammen Idee und Regie für Yasou Aida. Das Problem beim Austausch dieser Produktion wird freilich sein, dass es in Griechenland derzeit gar kein Geld gibt für Kultur, noch weniger als für alles andere. Doch nein - wenn die Scala ein Gastspiel gibt, gibt man Unsummen aus, da ist plötzlich Geld da, empört sich Glocksin zu Recht. „Diese Tatsache zeigt, dass der Kulturbegriff ein anderer zu sein scheint - noch nicht einmal als der unsrige - aber eben ein anderer als der der Neuköllner Oper.“  Für die Koproduktion wurde gecastet, um ein deutsch-griechisches Ensemble zusammenzustellen, und es kam eine eindrucksvolle Mischung zustande - allen voran die wunderbare Lydia Zervanos, Sopran, als Elpida und Alexander Sascha Nikolic, Tenor, als Rainer Mess. Diese Stimmen ziehen in den Bann - sie sind von überwältigender Qualität.

Doch zurück zur Oper Aida à la grec. Die Übertragung des Aida-Stoffes auf die heutige Krise Griechenlands ist eine Idee des Regisseurs. In der Tat fühlen sich die Griechen gedemütigt und unterworfen als Volk, wie dereinst die Äthiopier: „Unterworfen und vorgeführt von einer Großmacht, die selbst keine Fehler, wohl aber Beute macht“, sagt Glocksin. Was geschieht da eigentlich wirklich, unter diesem „Rettungsschirm“? Und warum sind es ausgerechnet die Griechen, die es so hart trifft? Kaum jemand scheint in der Lage, die Zusammenhänge plausibel zu erklären. Ein Einheimischer erzählt: „Ich merke es überall: Geschäfte schließen, immer mehr Obdachlose, und fast jedes Mal, wenn ich mit der U-Bahn fahre, gibt es Bettler. Vor ein paar Jahren gab es noch keine Bettler in der U-Bahn, jetzt aber gibt es weniger Kontrollen in den Bahnhöfen, weil es wegen der Einschnitte weniger Security gibt.“

Eine Figur wie Angela Merkel erscheint in unserer Presse wie die Göttin Isis, die letztlich über Gedeih und Verderb eines Volkes entscheidet. All das klingt ziemlich neokolonialistisch - und genau das ist es, was viele Griechen fühlen: Sie fühlen sich wieder einmal von fremden Mächten unterworfen.

Das Orchester an der Stirnseite der Bühne besteht aus zwei Klavieren, zwei Celli, einem Altsaxophon, Flöte und Melodika. Das Arrangement aus Verdis Originalmusik und Neukomposition, sowie die neue Instrumentierung stammen von Kharalampos Goyos, die musikalische Leitung hat Hans-Peter Kirchberg. Den Text schrieb Dimitris Dimopoulos. Es gibt deutsche, griechische und englische Texte, die je nach Aufführungsort in der Landessprache eingeblendet werden.

Die Handlung bleibt in der Aufführung teilweise unverständlich, da man dem Gesang, der Übersetzung, dem Spiel, den oft schwierigen Texten gar nicht so schnell folgen kann. Obwohl die Qualität von Spiel, Musik und Gesang überzeugen, weisen beide Teile des Abends doch gehörige Längen auf. Euro-Huldigungen wie „Euro unser, geheiligt werde Dein Name“ geraten doch oft etwas platt. Die Drachme wird in einen Sarg gesteckt und veschwindet in einer Wandklappe - wie auf einem italienischen Cimitero. Das hat der Euro aus uns gemacht: In (Währungs--)Einheit geschwächt, statt in Vielfalt geeint und gekräftigt. Die Europahymne wird vom Chor der Darsteller auf Tröten geblasen. Und auch Griechenwitze dürfen nicht fehlen: Kennen Sie den? Kommt ein Grieche zur Deutschen Bank und möchte gern ein Gyros-Konto eröffnen. Antwortet der Bankangestellte: „Das ist bei uns nicht Uso“. Naja.

Unterbrochen von derlei spaßigen Einlagen, bleibt die gesamte Handlung durch die vielen dialoghaften Szenen oft etwas sperrig. Das Publikum darf direkte Demokratie üben und mit abstimmen, was nun aus Griechenland werden soll, indem es „Umschuldung“ oder „Betrüger“ schreit. Und was lernen wir daraus? Die Griechen haben recht, die EU aber auch.

Man verlässt das Theater mit dem Gefühl: Keine Hoffnung mehr für dieses Land. S`ayapo Griechenland! Wir verdanken dir so viele schöne Urlaube an deinen schönen Stränden und wünschten, alles wäre so, wie es früher einmal war... Oder wie es im Solo der Elipa heißt: „Irgendwann wird meine Heimat wieder auferstehen.“ Doch augenblicklich ist das Stimmungsbild eher mit „Alles vergebens - in fide pax“ wiedergegeben - und damit endet das Stück.

Christina Haberlik

Fotos: Matthias Heyde