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Fakten zur Aufführung 

LE VIN HERBÈ
(Frank Martin)
29. Mai 2013
(Premiere am 25. Mai 2013)

Staatsoper im Schiller-Theater, Berlin


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Verkürzter Tristan im Krieg

Le Vin herbé war ursprünglich kein Werk, das für eine szenische Interpretation vorgesehen war. Ein Schweizer Madrigalchor bestellte bei dem Komponisten Frank Martin ein halbstündiges Werk für zwölf Chor- und Solostimmen, begleitet von kleinem Streichorchester und Klavier. Der Komponist liest zu diesem Zeitpunkt gerade eine Romanversion der Tristan-und-Isolde-Geschichte von Joseph Bédier und nimmt daraus ein Kapitel als thematische und textliche Anregung. 1940 erlebt das Werk in Zürich seine konzertante Uraufführung. 1942 schließlich wird vom selben Chor eine um zwei neue Kapitel erweiterte Fassung uraufgeführt, nun als 100 Minuten langes Oratorium. 1948 gibt es überraschend eine erste szenische Deutung in Salzburg, und seither taucht dieses musikalisch herbe und gleichzeitig betörende Werk vereinzelt im Spielplänen von Opernhäusern auf.

Natürlich war nie damit eine Konkurrenz zu der monumentalen Oper Tristan und Isolde von Richard Wagner geplant. Was die szenische Aufführung des Werkes von Frank Martin nicht eben bequem macht, ist der Wechsel von Chorgesängen mit erzählendem Inhalt und Passagen für Solostimmen, in denen die Sänger in konkreten Rollen und Situationen agieren. Andererseits bricht dieser fortwährende Wechsel von Handlungen mit ihren Figuren und deren Affekten einerseits und erzählenden, kommentierenden Choreinsätzen zum anderen das starre Schema der konventionellen Handlungsoper auf und gibt ihr einen modernen, epischen Charakter.

Die britische Schauspiel- und Musiktheaterregisseurin Katie Mitchell hatte die Grundidee, den Ort des szenischen Geschehens in das Innere eines zerbombten und notdürftig wieder nutzbar gemachten Raumes zu verlegen, in dem sich Bürger zu einer kriegsbedingten Notgemeinschaft zusammen gefunden haben. Durch die Umstände sehr bescheiden und sichtlich beklommen, agieren sie leise und zweckorientiert. Sie decken gemeinsam eine improvisierte Speisetafel, in einem anderen Moment ruhen sie aus, dann wieder spielen sie behutsam Situationen der Geschichte von Tristan und Isolde. Die notwendigen Requisiten werden dafür spontan aus Gegenständen des täglichen Gebrauchs zusammengestellt. Es ist eine fabelhafte Idee, der aufopferungsvollen Geschichte des Paares, das in seiner unbedingten Liebe die Schranken des gesellschaftlichen Umfeldes überwindet, parallel die Situation einer durch äußere Zwänge zustande gekommene Solidargemeinschaft hinzuzufügen.

Ausstatterin Lizzie Clachan hat den Sängern dunkle Alltagskostüme angezogen, die der Zeit des Rahmengeschehens entsprechen. Die Handlung ist beabsichtigt in den frühen 1940-er Jahren in einer französischen Großstadt angesiedelt, nach den Bombenangriffen durch die Aliierten, die mehrere tausend Opfer kosteten.

Frank Ollu hat die musikalische Leitung des Abends übernommen, den die Mitglieder der Staatskapelle Berlin und zwölf Gesangssolisten auif bewundernswert klangschöne und homogene Weise gestalteten, darunter Anna Prohaska als Isot La Blonde, Virpi Räisänen als Isot die Weißhändige und Matthias Klink als Tristan.

Ein insgesamt äußerst konzentriert wirkender und gänzlich uneitler Musiktheaterabend, der von nachhaltiger Wirkung ist. Das Publikum dankt allen Mitwirkenden für ihre fabelhafte Ensembleleistung mit spürberer Bewegtheit. Erfreulich, dass die Berliner Staatsoper diese Inszenierung auch in der kommenden Spielzeit für ihre Besucher bereithält.

Joachim Stargard

Fotos: Hermann und Clärchen Baus