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Fakten zur Aufführung 

AUS EINEM TOTENHAUS
(Leoš Janaček)
3. Oktober 2011
(Premiere)

Staatsoper Berlin im Schiller-Theater


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Einmal Gulag und zurück

Schon im Vorspiel ist das Rasseln der Ketten aus dem Orchestergraben zu hören,  und die düstere, aggressive Atmosphäre des Straflagers entfaltet ihren beklemmend faszinierenden Sog auf den Zuschauer. Mörder und politisch Verfolgte finden sich in einer Schicksalsgemeinschaft zusammen und geben nacheinander in kammerspielartig-intimen Szenen Einblicke in ihr Seelenleben und ihre Vorgeschichte.

Simon Rattle leuchtet die extreme Partitur Janačeks in aller Brutalität aus, gibt aber auch den umso zarter erscheinenden Hoffnungsschimmern und Momenten von Güte eine anrührende Fragilität, und das Staatsorchester folgt ihm mit großer Leidenschaft. Die gelungene Balance ist ein  besonderes Kunststück in der heiklen Akustik des Schiller-Theaters. Stets bleiben die Sänger präsent und ihre persönlichen Offenbarungen im Vordergrund. Wenn die Sänger verstummen und nur die Musik spricht, wie in den langen Pantomimen der Sträflings-Theatervorstellung, zeigt sich besonders die kongeniale Zusammenarbeit des Dirigenten mit dem Regieteam. Patrice Chéreau setzt auf realistische Bilder und verlangt äußerste Präzision in der Darstellung. Vom Statisten über Chorsänger bis zum Solisten sind alle gleichermaßen körperlich gefordert. Das Gehen in Fußfesseln wie auch die verzweifelt komischen Luftsprünge brennen sich in die Erinnerung ein.

John Mark Ainsley als wahnsinnig gewordener Skuratow ist in der Verkörperung seiner Verzweiflungsanfälle über seinen Eifersuchtsmord ganz  besonders lobend hervorzuheben.

Willard White in der Rolle des Neuzugangs Gorjantschikow hat als Hauptfigur eher wenig zu singen, seine Rolle ist die des Beobachters, mit ihm hatte sich Dostojewski in seiner Romanvorlage zu dieser Oper ein alter Ego geschaffen, um seine Erlebnisse von zwei Jahren im Gulag zu verarbeiten. Stefan Margita als Filka und Pavlo Hunka als Schischkow überzeugen in ihren langen Monologen, allerdings ist das gesamte Ensemble sängerisch hervorragend und durch die lange Laufzeit der Inszenierung, die man immerhin schon seit 2007 in Wien, Amsterdam, Aix en Provence, New York und Mailand erleben konnte, mittlerweile optimal eingespielt.

Letztendlich erklärt sich der Erfolg dieser Produktion durch eine Regie, die sich vollkommen dem Stück und seinen Geschichten widmet. Grausamkeit und Verzweiflung des Menschseins brauchen keine zweite Ebene, und obwohl Aus einem Totenhaus Janačeks letzte Oper ist, hat er damit nicht resigniert. Die Anwesenheit des verletzten Adlers im Kreise der Gefangenen, der am Ende der Oper wie der adelige Gorjantschikow dem Grauen entfliehen kann, ist Projektionsfläche der letzten Hoffnungen auf Erlösung und Befreiung.

Hier hat Chéreau die einzige Abstraktion in der Darstellung gewählt, indem er den Adler als Spielzeug des alten Sträflings zeigt, der immer wieder von den Männern hervorgeholt und bespielt wird, um sie kurzzeitig auf andere, positive Gedanken zu bringen.

Dennoch ist der Tod allgegenwärtig, und die Gewissheit, nie wieder aus diesem Gefängnis herauszukommen, lässt ihn als letzten Ausweg. Für den Schurken Filka ebenso wie für den jungen, unschuldigen  Aleja. Im Totenhaus sind alle gleich, und jeden hat eine Mutter geboren, wie der alte Sträfling kommentiert.

Nach kurzer Erholungs-Atempause zollt das mitgenommene Publikum den Akteuren lang anhaltenden, begeisterten Beifall. Man fühlt sich irgendwie geehrt, dabeigewesen zu sein, hat aber danach auch das Bedürfnis nach einem Drink -  auf das Leben!

Ingrid Franz





 


 
Fotos: Monika Rittershaus