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Fakten zur Aufführung 

TAKSIM SQUARE
(Mehmet Ergen)
17. August 2013
(Premiere)

Neuköllner Oper Berlin


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Tagespolitik auf der Bühne

Das Move-Op!-Festival, das die Neuköllner Oper derzeit in Berlin veranstaltet, stellt alternatives Musiktheater von freien Gruppen aus 13 europäischen Nationen vor. Vielfältige Formen sind zu erleben, etwa eine Revue mit Theatersongs aus Rumänien, eine Tanzperformance aus den Niederlanden oder eine volkstümliche A-capella-Fassung der Zauberflöte aus Spanien, um nur einige der 15 Produktionen zu nennen. Von besonderer Aktualität aber ist ein Stück aus der Türkei. Gerade mal zwei Monate ist es her, dass in Istanbul auf dem Taksim-Platz Demonstrationen von der Polizei blutig niedergeschlagen wurden. Und erst vor drei Wochen begann der Probenprozess zu dem Singspiel Taksim Square, mit dem die türkische Theatergruppe Talimhane Tiyatrosu Istanbul auf die Ereignisse reagiert - angeregt von Bernhard Glocksin, einem der drei Kuratoren des Festivals, der das Projekt gleich zum Move Op! einlud. Dort erlebte es im Saal Heimathafen, eine der Festivalspielstätten, mit deutschen Untertiteln nun seine Weltpremiere.

Handlungsort von Taksim Square ist eine Polizeiwache, die nur durch ein paar Stühle angedeutet wird. Hierher wird eine bunt gewürfelte Gruppe von Personen gebracht, die während der Demonstrationen festgenommen wurden. Zu ihnen gehören unter anderem ein Gewerkschaftler und eine Prostituierte, eine Professorin und ein Arzt, die der Autor und Regisseur Mehmet Ergen nacheinander, allein oder auch zu zweit, an die Rampe treten lässt, wo sie ihre persönliche Geschichte und die daraus resultierende ablehnende oder zustimmende Haltung zu den Ereignissen erzählen. Am Ende steht das Bekenntnis zur Demokratie: Die Darsteller treten aus ihren Rollen heraus, ergreifen Musikinstrumente und finden sich zu einem Protestlied zusammen. Es wird zum Höhepunkt einer Aufführung, die von Beginn an fesselt, weil sie das Geschehen in einer klar nachvollziehbaren und anschaulichen Form sowie ohne intellektuelle Schwere auf die Bühne bringt, hierin vergleichbar den Lehrstücken Brechts mit der Musik von Eisler und Weill. Für zusätzliche Verdeutlichung sorgen eingängig melodiöse, von Can Erdoğan-Sus am Klavier trefflich begleitete Songs, einem Mix aus neu entstandenen Liedern mehrerer Komponisten und Volksweisen. Für seine lebendige Inszenierung braucht Mehmet Ergen keine Kulisse, er setzt zu Recht allein auf die Vitalität und das eindringliche Spiel der zehn Darsteller. In jedem Moment spürt man den Willen des Ensembles, durch künstlerische Mittel zur Veränderung der türkischen Verhältnisse beizutragen, aufzurütteln und zu sensibilisieren.

Im gut gefüllten Saal ist das geglückt, denn das Publikum folgt der Vorstellung mit wachsender Spannung, die sich am Ende in großem Beifall entlädt. Ob und wann Taksim Square im Heimatland aufgeführt wird, ist fraglich. Denn Ressentiments seitens der Regierung sind durchaus möglich. Das Festival indes hat eine weitere Musiktheaterproduktion von politischer Brisanz im Programm. Eine Budapester Truppe spielt eine mit Musik unterlegte, aktualisierte Version von Horvaths Italienischer Nacht, in der es um die jüngsten antisemitischen und nationalistischen Tendenzen in Ungarn geht.

Karin Coper

Fotos: Matthias Heyde