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Fakten zur Aufführung 

DIE SCHÖPFUNG
(Joseph Haydn)
30. April 2011 (Premiere)

Berliner Dom


Points of Honor                      

Musik

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Audiobeitrag

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie den Audiobeitrag von Opernnetz-Korrespondent Michael S. Zerban über Christoph Hagel.

 
 

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Schöpfungsfantasien im Dom

Die Idee besticht: Die Schöpfung, das Oratorium Joseph Haydns, zu modernisieren, zu verbildlichen und in die Kirche zu tragen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, und ein Regisseur wie Christoph Hagel kann sich nach Lust und Laune austoben. Er will Lebensfreude zeigen, die Freude am Körper und an der Musik. Die Schwierigkeit ist, die eigenen Grenzen zu finden. Bei der Premiere im Berliner Dom, einer gewaltigen Kulisse, jedenfalls von außen betrachtet, zeigen sich die Grenzen sehr schnell.

Überraschend konventionell konzentriert die Handlung sich auf eine zu niedrige Spielfläche vor dem Altar. Rechts davon die Berliner Symphoniker, dahinter in einer Nische, der Berliner Symphoniechor. So wirkt das Ganze dicht gedrängt und kleinklein. Daran ändern auch die Videoprojektionen von Tina Zimmermann, Marco Moo und Kezia B. nichts, die von Naturbildern geprägt sind und die Wände und Decke des Altarraums geradezu überschwemmen. In ihrer Fülle erfordern sie die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers. Auf der Bühne von Uwe Lockner eröffnet Khaled Chaabi in der neu eingeführten Rolle des Luzifer ein Tanzspektakel, das sich aus Elementen von Breakdance, klassischem Ballett, Capoeira, Akrobatik und Tango zusammensetzt. Manu Laude und Nadia Espiritu haben mit neun Tänzern und Tänzerinnen sowie acht Kindern eine wechselvolle Choreografie erarbeitet, die mal sanft, mal kantig, mal wuselig daherkommt und immer aber die volle Konzentration des Zuschauers in Anspruch nimmt. Die Tanzelemente, die sich am Boden abspielen, entziehen sich dem Großteil des Publikums allerdings. Weil die Bühne zu niedrig ist, bleibt das Geschehen hinter den Köpfen der vorderen Bankreihen verborgen.

Zwischen den Tanzkünstlern stehend, singen die eigentlich hervorragenden Solisten: Die Sopranistinnen Darlene Ann Dobisch und Christiane Roncaglio, die Tenöre Kai-Ingo Rudolph und Joseph Schnurr sowie die Baritone Lars Grünwoldt und Christian Oldenburg lassen sich von dem Schwirren um sie herum nicht aus der Ruhe bringen, vermitteln den Schöpfungsglanz. Wer sich aber nun die Gänsehaut vorstellt, die sich beim Klang eines Soprans in einem Dom einstellen sollte, wird enttäuscht. Sämtliche Stimmen werden elektronisch verstärkt, was zu asynchronen Klängen aus Mündern und Lautsprechern führt. Ob auf der Bühne, neben der Bühne, auf der Empore oder im Zuschauerraum: die ständig wechselnden Einsatzorte der Sängerinnen und Sänger verlangen die volle Konzentration des Zuschauers. Als der Verfolger den Sänger auf der Empore nicht rechtzeitig findet, stellt sich gar kurzzeitig Verwirrung ein.

Die Freiheit, Lebensfreude und Reinheit der Schöpfung will sich auch in den weißen Kostümen von Leila Eva Machado widerspiegeln, mehr noch aber im Weglassen des Stoffs. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, ohne das Schamgefühl zu verletzen, ist bloße Haut zu sehen, vor allem aber auch die austrainierte Muskulatur der Tänzer.

Weiß sind auch die überdimensionierten Luftballons, die von der Bühne in den vollbesetzten Zuschauerraum geworfen werden. Es passiert, was passieren muss: Zuschauerinnen und Zuschauer versuchen, die Bälle zur Bühne zurückzuspielen, was dazu führt, dass Grünwoldt sich schützend vor Orchester und Chor stellen muss, um die Ballons abzuwehren. So sind die Zuschauer voll und ganz mit dem Ballspiel beschäftigt. Auch andere Regieeinfälle Hagels scheinen kaum zu Ende gedacht. Reynald Valleron kann erst verspätet aus seinem Affenkostüm befreit werden, so dass die Menschwerdung den Text des dazugehörigen Liedes verfehlt. Die lebendige Schlange spielt nur in den ersten Sekunden ihres Auftritts mit, dann sind Adam und Eva damit beschäftigt, sie wieder in die rechte Position zu bringen. Das wirkt erst unfreiwillig komisch, letztlich überwiegt aber das Mitleid für die Schlange beim Zuschauer.

Bei all diesen Geschehnissen rückt die Musik in den Hintergrund. Niemand kann sich dauernd auf alles konzentrieren. Das Orchester richtet sich nach dem Dirigenten, was eigentlich richtig ist, aber ungewollt zu Tempowechseln führt, weil der Dirigent zu beschäftigt ist, auch die anderen Stationen mitzuführen. Der Chor erledigt seine Pflicht, und so klingt er auch.

Hagel hat mit seiner Inszenierung deutlich Grenzen überschritten, ohne dadurch einen relevanten Mehrgewinn zu erzielen. Nahezu berauscht von der multidimensionalen Vielfalt, lässt sich das Publikum am Ende von einem Orgelgewitter aufputschen, um anschließend mit Bravo-Rufen und Pfiffen den Regisseur und seine Akteure hochleben zu lassen. Was hier zu Recht applaudiert wurde, war nicht die Professionalität oder hohe Kunst, sondern die Idee. Und die ist mitunter wichtiger als das Ergebnis.

Michael S. Zerban

 









 
Fotos: © Oliver Wia