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Fakten zur Aufführung 

SCHWESTERN IM GEISTE
(Thomas Zaufke)
13. April 2014
(Uraufführung)

Neuköllner Oper, Berlin


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Gesang

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Mein Leben: Skandal und Erfolg

Während in Neukölln und Kreuzberg die Schlacht zwischen Polizei und Demonstranten für bessere Wohnverhältnisse von Asylanten tobt, geht einen Kilometer weiter auf den Neuköllner Straßen der Wochenendeinkaufs- und Cafébummel gut bürgerlich und international weiter. Hier finden sich, wie vor 100 Jahren im viktorianischen England, in bunter multikultureller Verkleidung die gleichen Probleme, mit denen die Protagonisten des Stückes dort zu kämpfen hatten.

Das Bühnengeschehen nimmt auf, was draußen täglich, stündlich passiert. Schwestern im Geiste, das sind die gut bürgerlich erzogenen Töchter aus gutem Hause: Charlotte, von Keren Trüger seriös, erwachsen und vernünftig gespielt, den Eltern gehorchend, ist nicht ohne Träume; Anne, dem Küken, das immer noch in seinen pubertären Romantikträumen versinkt und auf den Prinzen hofft, gibt Katharina Abt ein ruhiges, freundliches Auftreten, und schließlich Emily, das enfant terrible, lässt Dalma Viczina als Revolutionärin mit wildem Wuschelkopf und noch wilderen Gedanken über sich, ihr Leben und die Gesellschaft überhaupt auftreten. Sie alle rebellieren in Büchern gegen das Frauenbild ihrer Zeit, gegen das ihnen zugemutete, durch Männer bestimmte Leben. „Es ist engstirnig von den bevorrechtigten Männern, wenn sie sagen, Frauen sollen sich darauf beschränken, Pudding zu kochen und Strümpfe zu stricken, Klavier zu spielen und Taschen zu besticken.“ Ihre selbstreflexiven Bücher werden Erfolge, aber auch Ursache eines Skandals, des Skandals, weil sie eine neue, selbstbestimmte Rolle der Frau propagieren, furchtlos, oft naiv und folgenlos. Sie fürchten den Skandal nicht, gehen aber schließlich doch darin unter. Die beiden einzigen Männer dieses „Frauenstückes“, der Bruder Branwell und der ach so naive Referend mit den tiefblauen Augen sind eigentlich nur Garnitur. Bis auf Anne brauchen diese Frauen die Männer nicht, eigentlich…, nur manchmal. Das demonstriert handgreiflich die selbstbewusste Zofe Tabby, die sich ganz einfach und konkret nimmt, was sie gerade bekommen kann. Sabrina Reischl stellt sie umwerfend echt dar. Ihr Lebensentwurf ist klar und nachvollziehbar: hier und jetzt!

100 Jahre später scheint sich nur wenig geändert zu haben. Heutigen Frauen scheint es ähnlich zu ergehen. Milly und Aydin, Multikulti-Schülerinnen, sitzen beide im Deutschkurs eines Gymnasiums, und Lotte, die modern-selbstbewusste, leistungsorientierte Lehrerin, von Teresa Scherhag mit Überzeugung und vielen Nuancen gespielt, versucht diesen Mädels, nein, jungen Frauen klar zu machen, was die literarische Interpretation eines Buches für ihr Leben und ihre Rolle als Frau bedeutet und stößt damit auf Gähnen – eine eingehende SMS ist viel interessanter. Und der Wille von Aydins Vater, sie in Kürze zu verheiraten, ist bindender als das in drei Monaten mit besten Noten zu erwartenden Abitur. Die Lehrerin ist fassungslos.

Das Stück von Thomas Zaufke, Musik, und Peter Lund, Text und Regie, nimmt wohl bekannte Argumente und Erfahrungen des Feminismus auf und bringt sie in neuer Kombination auf die Bühne. Neu und originell ist das alles nicht, hier werden bekannte Vorurteile wiederholt und wenig originell präsentiert. Auch die Gegenüberstellung von gut-bürgerlicher und Multikulti-Gesellschaft hilft nicht wirklich weiter. Ein wenig Fahrt erhält diese Parallelgeschichte durch die flotte, musicalnahe Musik von Zaufke, die ein Sextett unter Hans-Peter Kirchberg temporeich serviert. Hier erinnern einige Songs durchaus an Kurt Weills Melodien und Instrumentierungen. Aus der gelungenen Kombination von guter Darstellung und Musik ergibt sich mit dem Tanz Skandal – Skandal einer der wenigen Höhepunkte des Abends. Im Übrigen zeigt das Stück vor allem im zweiten Teil Wiederholungen und Längen, hier versäumen es die Autoren, rechtzeitig auszusteigen. Der kleine lesbische Ausrutscher zwischen Lotte und Milly wirkt wenig glaubhaft, aufgesetzt und zum Teil peinlich. In der Schlussphase dehnen sich immer neue Harmonisierungen und Sinnfindungen aus und zwischen beiden Welten – und ermüden, die Spannung ist dahin.

Koproduktionen wie die Schwestern im Geiste geben Studentinnen und Studenten der Universität der Künste Berlin die Chance, Theater live zu machen und sich zu erproben. Die Darsteller dieser Inszenierung konnten ohne Ausnahme überzeugen. Auch wenn einige Stimmen noch (zu) hart klingen und weiter reifen sollten, finden sich im Studiengang Musical/Show genügend Talente für weitere Aufführungen, denen man ausgereiftere Stücke wünscht.

Das Publikum ist von den jungen Talenten begeistert und bedankt sich mit lang anhaltendem Beifall.

Horst Dichanz

Fotos: Matthias Heyde