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Fakten zur Aufführung 

RHEINGOLD - FEUERLAND
(Simon Stockhausen)
18. August 2011
(Uraufführung)

Neuköllner Oper


Points of Honor                      

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Zwischen Kapitalismusschelte und Endzeitvision

23 Jahre ist das Experiment der Neuköllner Oper nun schon alt. Sie gilt als Berlins innovativstes und kreativstes Musiktheater. Jetzt hat ein neues, mutiges Unterfangen Premiere: Rheingold – Feuerland – Ein Wagner-Wiedergänger nennt sich die neue Produktion. Gespielt wird in einem ehemaligen Ballsaal. Der Bühnenpodest in Keilform von Markus Meyer stellt die Spielfläche der neuen Produktion von Komponist Simon Stockhausen und Librettist Bernhard Glocksin dar. Schwarze Plastikfetzen – Endzeitmüll – sind über den Bühnenboden verstreut. Die Darsteller verschwinden in Kratern, die in den Boden geschnitten sind, und tauchen aus ihnen auf wie einst die Rheintöchter aus dem Fluss. Und wie in Wagners Rheingold geht es auch hier um die alles überschattende Gier nach dem Gold. Die erst 21-jährige Regisseurin Lilli Hannah Hoepner übersetzt das in moderne Begrifflichkeiten: Um Geschäftssinn, Ehrgeiz und Korruption als den „Urtrieben des Menschen“ geht es ihr, die alle ethischen und moralischen Werte außer Kraft setzen.

Seine Musik zwischen Rückblick und Neukomposition will Simon Stockhausen als Nachhall des Wagnerschen Originals verstanden wissen. Seiner Vertonung des Textes sei ein zweitägiges Marathon-Hören des Wagnerschen Rheingoldes vorausgegangen: „Eine (nicht-musikwissenschaftliche) Analyse des Rheingoldes zeigte mir, welche damals modischen Harmoniefolgen und Melodielinien ihrer Zeit geschuldet waren, und was an der Musik für mich zeitlos erscheint und berührend ist.“ In einem zweiten Arbeitsgang ordnet Stockhausen dann gemeinsam mit Glocksin den Protagonisten musikalische Motive zu. Er versucht eine Kombination des Epischen, Großen, Gewaltigen im Kontrast mit dem Leisen, Zarten und Zerbrechlichen durch elektronische Musik mit akustischen und Blasinstrumenten zusammenzubringen. „Einerseits hätte ich ohne Elektronik die Wagnersche orchestrale Klangfülle niemals in der Neuköllner Oper erzeugen können, andererseits ist das Forschen, Suchen und Erfinden im Bereich der elektronischen Musik meine größte Passion und Lebensaufgabe“, erläutert der Komponist seine Herangehensweise. So liegt die Musik meist wie ein elektronischer Klangteppich unter dem Geschehen, wird mit einzelnen Motiven von selten gespielten Instrumenten wie Euphonium, Sousaphon, Duduk und Raita ergänzt, die oft so dominant sind, dass die eher schwache stimmliche Leistung der Sängerinnen und Sänger kaum dagegen ankommt.

Die Geschichte spielt in zwei abwechselnden Handlungssträngen. Andrea Sanchez del Solar verleiht der jungen Reporterin Mercedes eine Stimme, die zu wenig Volumen in den Höhen bietet. Mercedes interviewt den Unternehmer George Warren und wirft ihm skrupellose Geschäfte vor. Thorsten Loeb spielt den Unternehmer aalglatt, überzeugt noch am ehesten mit seiner stimmlichen Präsenz. Im anderen Handlungsstrang nimmt Janko Danailow als erst 14-jähriger Christo in Kauf, die giftigen Dämpfe einer Müllkippe einzuatmen, um zu Reichtum und Ansehen zu kommen. Die Gier, die den Jungen bewegt, setzt Danilow in seinem Spiel glaubhaft um. Erda, die ihn zur Vernunft bringen will, wird von Dennenesch Zoudé gespielt. Zoudé, sonst eher als Kommissarin aus der TV-Krimireihe Polizeiruf 110 bekannt, wagt diesen Ausflug in die Oper und ist schauspielerisch sehr überzeugend. Auch für sie gilt, dass sich ihre Stimme nicht gegen das Orchester durchzusetzen vermag. Ein wenig im Dunkel bleibt die Rolle des Dr. Anashnapura, der mal als indischer Hijra, mal als einer der Bosse und Abzocker Christos auftritt. Bozidar Kocevski spielt den Wanderer zwischen den Welten, bleibt rollentreu unbestimmt, und seine stimmliche Leistung bleibt leider weit hinter dem zurück, was man sich wünschen würde.

Weil es an Platz für eine reguläre Orchesteranordnung fehlt, sind die Musiker an einer Seite des Theaterraums aufgereiht. So ist auch Lam Tran Dinh, Dirigent und Mann am Zupfklavier, für die Orchestermitglieder nur über einen Monitor über der Spieltribüne sichtbar. Das ist ungewöhnlich, bereitet aber dem beherzt aufspielenden, sich engagiert auf die Musik Stockhausens einlassenden Orchester keine Schwierigkeiten. Lam Tran Dinh beherrscht die „Doppelrolle“ in Perfektion, führt die Musiker mit Souveränität und deutlichen Akzenten durch den Wagner-Wiedergänger.

Die Uraufführung möchte wachrütteln, allerdings in zu vielen Bereichen gleichzeitig. Übrig bleiben grobe Kapitalismusschelte und Endzeitvisionen: Warren bedeckt seine Geschäfte mit Methanhydrat, dem so genannten ‚brennenden Eis’ mit dem Mäntelchen der Wohltat für die ganze Menschheit, während Erda eine neue Erde ohne Menschen prophezeit.

Das Publikum klatscht artig bis verhalten begeistert und entschwindet in die heiße Sommernacht.

Christina Haberlik






 
Fotos: Matthias Heyde